Schwerer Brocken

Midgard – Das Brettspiel

Ein Koch muss aus Halfdal nach Orsamanca gebracht werden, eine Tarnkappe aus Gimli-Dum nach Corrinis. Für das Erledigen dieser Aufträge erhält man neue Schätze und Fähigkeiten. Klingt das nicht irgendwie bekannt? Nach einem gewissen Deutschen Rollenspiel (nicht Das Schwarze Auge)? Und doch, wir haben es hier wirklich nicht mit einem Rollenspiel zu tun.

Immerhin steht auch schon auf der Verpackung dieser rund zwei Kilo schweren Dose ″das Brettspiel″, man darf sich also auch als nicht-Rollenspieler an dieses Spiel wagen. Midgard – das Brettspiel verwendet zwar eine Menge Versatzstücke aus dem Rollenspiel, so dass jedem Midgardspieler angesichts des Wiedererkennens warm ums Herz wird, aber auch wer die Welt von Midgard nicht kennt, kann dieses Spiel ohne Probleme spielen.

Allerdings hinterläßt das Spielmaterial, wenn man es denn auspackt, doch einen gemischten Eindruck. Die ′Übersichtszettel′ sind genau das – Zettel, die in ihrer Papierqualität sogar hinter dem Regelheft zurückstehen. Gerade diesen Übersichten, die man immer wieder zu Rate ziehen wird, hätte ein wenig massivere Konstruktion gut getan. Da steht dann gegenüber, dass das meiste andere Spielmaterial (Stadt- und Heldenkarten, Plattpöppel) sehr massiv ist – wahrscheinlich könnte man mit den Stadtkarten jemand erschlagen. Und dann ist dann ein Kartensatz, der wieder eher in die Rubrik ′Übersichtszettel′ fällt, zwar nicht ganz so labberig, aber unter Karten stelle ich mir etwas Festeres vor. Und dann gibt es noch kleine Holzwürfel, die Erfahrungspunkte darstellen, und wieder sehr stabil und massiv sind. Etwas weniger Qualität bei den Stadt- und Heldenkartons zugunsten der Übersichten und anderen Karten wäre nicht falsch gewesen.

Optisch macht das Spiel auch eine Menge her – sowohl die Stadtzeichnungen, als auch die Charaktere, als auch die übrigen Teile sehen sehr schick aus.

Man zieht mit seiner Spielfigur (Krieger, Priester, Barde, Spitzbube, Zauberer, oder ein eigener Char mit Hilfe einer der vier Blanko-Charakterkarten) über eine Landschaft, die aus 12 Städten der Welt Midgard zusammengesetzt ist, mit dem Ziel, Abenteuer zu erleben, Schätze und Personen an ihren rechten Ort zu bringen, und ganz allgemein Prestige zu sammeln.

Ein wenig wirkt das Spiel wie eine Mischung aus Talisman und einem ′echten′ Rollenspiel. Man hat eine wesentlich freiere Wahl, wie man das Spiel gewinnen will, aber auf jeden Fall sammelt man Ausrüstung, die als Karten an den Heldenkarton angelegt wird wie bei Talisman, verliert Lebenspunkte und gewinnt diese zurück etc.

Das Spielsystem basiert auf dem von Midgard. ist aber für Brettspieler vereinfacht. Jeder Held hat drei Eigenschaften: Gewandtheit, Intelligenz, und Stärke, mit als Zahlenwerten 8-8-10 oder 8-9-9, wobei die genaue Verteilung vom Beruf des Helden abhängt. Auch startet man mit einer Grundausrüstung. Abhängig von diesem Beruf kämpft, zaubert und interagiert ein Held unterschiedlich gut – der Zauberer zaubert eben besser als der Krieger, der dafür die Bedienungsanleitung des Schwertes (spitzes Ende – in den Gegner) besser verinnerlicht hat. Für eine Aktion würfelt man einen zwanzigseitigen Würfel, addiert den entsprechenden Wert (Intelligenz, Angriffswert etc.) darauf und muss mindestens 20 erreichen.

Für viele Aktivitäten gibt es sogenannte Aktionskarten. Eine von diesen spielt man in jeder Runde aus um eine bestimmmte Anzahl Aktionen zu erhalten. Aktionen sind

  • das Bewegen eine Stadt weiter
  • der Versuch, einen Gegenstand oder eine Person mitzunehmen
  • das Abliefern von Gegenständen und Personen in den Zielstädten
  • Kaufen von Gegenständen
  • Erwerb von Fertigkeiten
  • Heilen von Wunden

etc.

Allerdings kann man mit den Karten noch mehr: sie können verwendet werden, um Würfelwürfe zu verbessern oder zu ersetzen, um gefährliche Situationen zu umgehen etc. Und natürlich sind gute Karten in mehreren dieser Dinge gut, so dass man sich immer überlegen muss, welche Karte man wofür einsetzen will, denn natürlich darf man eine Karte nur für eine der Optionen verwenden.

Abgesehen vom Transport von Gegenständen und Personen kann man allerdings auch noch Abenteuer bestehen. Ein Abenteuer ist eine Reihe von Begegnungen die üblicherweise gefährlich oder schwierig sind. Für ein bestandenes Abenteuer gibt es allerdings auch Belohnungen in Form von Schätzen und Prestige.

Ein wichtiger Mechanismus des Spiels ist die Gruppenbildung. Man kann sich zu Gruppen zusammenschließen, um schneller von einem Ort zu einem anderen zu gelangen, oder auch, um gemeinsam ein Abenteuer zu bestehen und sich dann die Schätze zu teilen. Obwohl jeder das Ziel als erster erreichen will, bilden sich so Zweckgemeinschaften, die zwar nicht lange halten, aber allen Beteiligten zum Vorteil gereichen.

Womit wir beim Hauptziel des Spiel angekommen wären. Im Endeffekt geht alles nur darum, Prestige zu sammeln. Prestige gibt es für Schätze und Artefakte, für das Besiegen von bestimmten Gegnern, für den Erwerb von größeren Mengen Erfahrung etc. Wer als erster fünf dieser Prestigepunkte erwerben kann, hat gewonnen.

Das klingt alles jetzt ziemlich verschwommen, aber das kommt auch davon, dass die Spielregeln sehr ausführlich sind. Mit 24 Seiten macht schon die Spielregel deutlich, dass dies kein ′mal eben so zwischendurch′-Spiel ist, sondern eher eine abendfüllende Angelegenheit (die Verpackung nennt 90 – 120 Minuten, was auch für erfahrene Spieler erst nach mehreren Spielen erreichbar sein dürfte).

Mindestens ein Spieler sollte sich die Spielregel vor dem ersten Spiel schon gut durchgelesen haben, wobei es sicherlich hilfreich ist, wenn dieser jemand auch ein wenig Rollenspielerfahrung hat. Wenn man erst einmal kapiert hat, welche Möglichkeiten man hat, läuft das Spiel selbst allerdings sehr flüssig, und es kommt keine Langeweile auf. Da man zudem auf verschiedenen Wegen die ersehnten Prestigepunkte sammeln kann, und keine dieser Methoden den anderen grundsätzlich über- oder unterlegen ist, entwickelt sich ein fröhliches Neben- und Miteinander.

Aber nicht nur durch die verschiedenen Wege ist das Spiel abwechslungsreich: man kann zu jeden Spiel die Karte der Städte neu aufbauen, und so die Wertigkeit der verschiedenen Strategien verändern. Schon daher ist dies Spiel ein Spiel, das man nicht nur einmal spielt, sondern immer wieder, und das auch beim zehnten Spiel nichts von seinem Reiz verloren hat. Die o.g. Kritikpunkte betreffen eher Äußerlichkeiten, und verschwinden verglichen mit dem Spiel und dem Genuss an demselben.

Wer Rollenspielen aus grundsätzlichen Erwägungen feindselig gegenübersteht, sollte das Spiel meiden, jeder andere (also auch der, der Rollenspiele einfach nur ablehnt ;-) ) sollte es zumindest einmal versuchen. Es ist seinen hohen Preis nicht nur wegen des Materials, sondern auch wegen des Spiels an sich voll wert.

Hersteller

Phantastsche Spielwelten

Autor

Lutz Stepponat

Spieler

3-5

Denken

8

Glück

5

Geschicklichkeit

0

Preis ca.

49,95 € (empf. VK)

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