Grau ist das neue Schwarz
Es scheint heutzutage 'in' zu sein, Rollenspielwelten 'grau' zu machen. Strahlende Helden – ob Spielercharaktere, oder Nichtspielercharaktere als Vorbilder – werden entweder kräftig eingegraut oder entsorgt, damit 'man nicht schwarz-weiß spielt'. In Extremfällen werden Erfolge der Spielerhelden (‚Held' im literarischen Sinne) durch Aktionen von NPCs, auf die die Helden keinerlei Einfluss haben, regelmäßig zunichte gemacht.
Wenn es dann zu Diskussionen kommt, und jemand meint, er würde doch gerne auch einen wirklich weißen oder auch einen pechschwarzen NSC sehen, wird ihm sofort vorgeworfen, er wolle reines schwarzweiß haben, und so sei die Welt nun einmal nicht. Dass das 'auch' eben impliziert, dass auf der anderen Seite auch verschiedene Grautöne möglich sein dürfen, wird dann gekonnt übergangen.
Leider ist durch den Verlust der ganz hellen und ganz dunklen Töne, also das Zeichnen der Spielwelt in einem Farbspektrum das die ganze Bandbreite zwischen kräftigdunkelmittelgrau und starkdunkelmittelgrau umfasst (und nichts außerhalb zuläßt, will man sich nicht dem Vorwurf aussetzen, zur Schwarzweißfront zu gehören, die kein Grau zulassen will…) die ganze Angelegenheit ziemich undurchsichtig. Ich gebe einfach 'mal ein Beispiel.
Das Bild hier rechts ist, um es einmal vorsichtig auszudrücken, schwer zu erkennen. Genau genommen sieht man sogar nicht alles, was zu sehen sein könnte. Man kann erahnen, dass ein Text zu lesen ist, und das ist es dann auch. Wer scharfe Augen hat, kann noch den Text entziffern, aber ein wirklich aussagekräftiges Bild sieht anders aus. Vor allem: das eigentliche ild enthält Informationen, die hier beim besten Willen nicht mehr zu erkennen sind.
Ich habe für dieses Bild ein anderes genommen, und in der Bildbearbeitung den Kontrast so weit herabgesetzt, dass eben nur noch ein enges Spektrum Grautöne übrig blieb. (Ich habe wirklich nur den Kontrast geändert, alles andere blieb unverändert.)
Wenn man sich ds Originalbild (hier rechts) ansieht, erkennt man sofort, welche "wichtige Information“ verschwunden ist. Dadurch, dass der Kontrast von reinweiß bis pechschwarz geht – aber dennoch graue Zwischentöne möglich sind! – erhält man plötzlich mehr Informationen.
Ähnliches geschieht auch in Rollenspielwelten. Es mag in unserer Welt normal scheinen, dass Steuerhinterzieher nur dann hinter Gitter gehen, wenn sie weniger als einen bestimmten Betrag unterschlagen haben, aber das ist ein Effekt, den man in einer Rollenspielwelt als Autor gut überlegen sollte. Immerhin hat man durch die Wahl des Genres, des Stils undsoweiter eine bestimmte Erwartungshaltung bei den Kunden (Spielern und Lesern) geweckt, die man nicht grundlos enttäuschen sollte. Nichts gegen das gelegentliche bewußte Brechen eines Tropus – wenn das Brechen so alltäglich geworden ist, dass die Spieler überrascht sind, wenn einmal ein Tropus nicht gebrochen wird – wenn das Brechen des Tropus zu einem Stereotyp verkommen ist – wenn die Reaktion der Kunden niht mehr 'Ohje, so ein Sch…' sondern nur noch ein halb-gelangweiltes, halb-resigniertes 'Was haben die denn jetzt schon wieder angestellt?' ist – dann, ja dann ist etwas ganz gehörig in eine Schieflage geraten, gegen die sich die Lage des Finanzmärkte wie ein Rosenbett ausmacht.
Mit der Verwendung eines Genres, mit der Verwendung von Tropen macht man dem Kunden ein implizites Versprechen, dass er sich an bestimmten Richtlinien orientieren kann, um seinen Weg durch die eben nicht reale Welt zu finden. Wenn ich einen Film als Martial-Arts-Comedy ankündige, der aber nach einer halben Stunde furioser Action plötzlich zu einer Liebesschnulze entartet und die Kampfkünste völlig veschwinden, werden die Zuschauer sich (zu Recht) betrogen fühlen, genau wie wenn ich einen Film als Remake von "Und ewig grünt die Heide“ ansetze, aber nach zwanzig Minuten Aliens landen und die Landschaft zerstören. Womit ich weder etwas gegen Liebesschnulzen noch gegen Invasions-Science-Fiction sagen will: es wird in diesen Fällen ganz einfach die Erwartung des Kunden, die durch das implizierte Versprechen aufgebaut wurde, enttäuscht.
Die logische Folge für einen Film: Filme dieses Regisseurs – vielleicht sogar des ganzen Verleihs, oder der Produktionsfirma – werden in Zukunft schlechter laufen, weil die Leute misstrausich sind. wenn ds mehrmals geschieht, kann man die Filme irgendwann ebsser sofort auf Video verscherbeln (für 1 Euro pro Film), weil niemand mehr für diese Filme ins Kino gehen wird, oder sich die Filme zum Normalpreis antun wird. Und die Note bei IMDB wird ziemlich tief liegen. Auch wenn es immer ein paar unverwüstliche Fans gibt, die alles entschuldigen, werden sie schnell durch die enttäuschten Kinogänger überstimmt werden.
Die logische Folge für ein Rollenspiel: Das wird viel langsamer gehen, aber ein ähnlicher Effekt wird einsetzen. Man wird vielleicht ein paar neue Kunden gewinnen, die genau diese gebrochenen Tropen cool oder heiss finden, aber man wird nach einiger Zeit eine ganze Reihe Kunden verlieren, die 'sich nicht länger verarschen lassen' wollen. Da aber die Schmerzgrenze bei den Kunden unterschiedlich liegt, wird man zu Beginn vielleicht gar nicht so merken, was da passiert, sondern erst, wenn es zu spät ist. Und auch hier wird es Kritik geben, aber da – anders als zum Beispiel bei IMDB – in Online-Foren zu betimmten Rollenspielen meist vor allem die Fans des Rollenspiels, das das Thema des Forums ist, zusammenkommen, werden Klagen wesentlich schlechter zu hören sein, und man oftmals erst merken , was los ist, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist.
Wer ein Rollenspiel herstellt, wer als Spielleiter Runden anbietet, der verspricht (implizit) den Spielern, dass sie etwas verändern können. Sogar bei Rollenspielen, die so sehr auf das ultimate Versagen der Spielercharaktere ausgerichtet sind wie bei Cthulhu will man als Spieler die Möglichkeit haben (oder zumindest den Eindruck haben), dass man die Situation zum besseren wenden kann. Wenn den Spielern ihre bereits realisierten Erfolgserlebnisse anschließend an der ausgespielten Szene vorbei (also im Plotverlauf ohne Einwirkungsmöglichkeit der Spieler) zunichte gemacht werden, hat man als Spieler beim ersten Mal vielleicht nur ein leichtes Frustgefühl. Wenn das aber öfter geschieht, dass wird der Spieler irgendwann mit seinem Geldbeutel abstimmen und entweder ganz mit dem Hobby aufhören oder zur Konkurrenz gehen. Und die ist, den Indie-Rollenspielen sei gedankt, ziemlich groß.
Nächstes Mal im Flamebait: wie sich das grau-in-grau auf die Motivation der Helden auswirkt.
Danke für den Artikel. Ich will auch wieder mit schwarz und
weiß und kurz-vor-schwarz und ziemlich-weiß spielen dürfen und nicht
immer von allen die Voteile einer Einteilung in Steingrau, Mausgrau,
Silbergrau, Eselgrau, Aschgrau, Himmelgrau, Bleigrau, Dunkelgrau,
Hellgrau, Mittelgrau, … vorgejammert bekommen. Grausam!