Stadt und Land

Nihavand – die Perle Arans

Midgard ist ein Rollenspielsystem, das, trotz seiner Größe in Deutschland, in der Deutschen Rollenspielszene kaum wahrgenommen wird. Es gibt zwar immer wieder Einführungsrunden auf verschiedenen Cons, aber wenn ich zurückdenke, wann ich das letzte Mal bewusst eine Midgard-Runde, die keine Einsteigerrunde war, gesehen habe, muss ich schon weit zurückdenken. Es ist natürlich möglich, dass ich zum Beispiel auf der NordCon zum falschen Zeitpunkt an den Aushängewänden war, aber wenn mir sogar "Exoten“ wie Floating Vagabond oder Perry Rhodan (das ja selbst auch ein Midgard-Derivat ist, zugegebenermaßen) als wiederholt aufgetreten im Gedächtnis bleiben, muss ich einfach annehmen, dass Midgard eben auf normalen Cons kaum vertreten ist.

Das dürfte auch daran liegen, dass die Midgard-Szene fast schon den Rang einer eigenständigen Gruppe (um nicht zu sagen: veschworenen Gemeinschaft) hat, die nur wenig Berührungspunkte mit 'anderen' Rollenspiele(r)n hat. Midgard-Cons gibt es zwar auch, aber von denen hört man oft nur im Midgard-Forum selber, und sie folgen eigenen Regeln: meist ist eine Voranmeldung notwendig, die Eintritspreise liegen deutlich über denen, die man von normalen Cons gewohnt ist – weil üblicherweise die Verpflegung gleich mit geregelt wird -, meist finden sie in Jugendherbergen / -hotels statt, Übernachtung im Bett eingeschlossen und und und. Dennoch findet man hin und wieder auch im Fachhandel Quellenbücher und Regelwerke, wie zum Beispiel eben 'Nihavand – Die Perle Arans'.


Das Format ist nicht nur von Midgard-Büchern her bekannt, etwas kleiner und minimal breiter als DIN A 4, Hardcover, 160 Seiten. Nur der Vorsatz ist dunkelblau, ansonsten sind die gesamten Innereien des Bandes schwarzweiß gehalten. Buchbindetechnisch abrundend: kein Schmutztitel, kein Gold-, Silber- oder anderer Zierschnitt – das wäre auch arg nobel für diesen Band -, aber auch kein Lesebändchen. Das wiederum wäre ganz nett, denn nicht nur stehen zwei Abenteuer im Buch, zu denen man während des Leitens derselben hin und wieder zurückblättern will: wenn man bestimmte Erläuterungen in einer Sitzung häufiger benötigt, macht so ein Leseband doch mehr Sinn als Klebezettel oder Einlagen, die man selber anfertigen muss. Im Rückdeckel ist eine Tasche, in der eine Farbkarte Arans zu finden ist.

Schon wenn man den Text auf der Rückseite des Buches liest, erkennt man, in welche grundsätzlichen Kulturkreise das Buch einzuordnen ist: Wesire, Diebe, Ritter in Samt und Eisen wecken sofort eine Stimmung irgendwo zwischen spanisch-maurisch, arabisch, iranisch und Kreuzritter – und man ist gar nicht einmal allzu weit von der Stimmung des Buches entfernt.

Wo ich schon über Text auf dem Einband spreche: allzu genau sollte man sich den Buchrücken nicht ansehen: dort hat wohl einer der 'waghalsigen Diebe' Arans den Stadtnamen das 'D' geklaut…

Im Inneren überzeugt die Arbeit aber dann wieder. Der Haupttext ist zweigeteilt: zuerst eine 'Kleine aranische Landeskunde' von knapp 30 Seiten, dann der Text zu Nirhavand mit ca. 80 Seiten. Der Rest wird verbraucht durch zwei spielbereite Abenteuer (8 und 13 Seiten plus drei Seiten Anhängen) und den eigentlichen Anhängen mit einem Wörterbuch, einem Gebäude- und Personenindex und einem allgemeinen Index.

Die Landeskunde führt in der Art eines Reiseführers in die allgemeinen Umstände des Lebens in Aran ein. Durch den Umfang kann diese natürlich nicht so detailliert sein wie man es vielleicht blauäugig aus gewissen anderen Systemen erwarten würde.

Anschließend wird die Stadt Nihavand näher beschrieben, in Form eines Stadtrundganges. Ein einheimischer Cicerone erzählt einem, beginnend in der Stadtmitte (also bei den reichsten Einwohnern), was man in der Stadt erleben kann, und führt einen dann bis in die Slums und Randgebiete. Hierbei hilft natürlich, dass Nihavand wesentlich stärker strukturiert ist als es Städte dieser Größenordnung normalerweise sind – auch wenn die Viertel in einer mittelalterlichen Welt nicht so schnell ihre Einwohner wechseln wie heutzutage (man bedenke nur den Weg, den das Greenwich Village in New York in relativ kurzer Zeit genommen hat – von Reichenviertel über Armenviertel hin zu moderner Bohème), ist doch, wenn man historische Karten bekannterer Städte ansieht, ein derart gleichmäßiges Gefälle nach außen hin eher ungewöhnlich – meist gibt es mehrere 'Zentren' der reicheren Bewohner, und mehrere räumlich getrennte Armengebiete.

Auch will die Stadtrundführung einen nicht mit allen Häusern en detail bekannt machen, man erhält mehr ein Stimmungsbild und einen Eindruck, den man als Besucher von einem Viertel erhält. Zwischen die Beschreibungen eingestreut sind Personenbeschreibungen, die in der Regel auch 'Geheimnisse' enthalten (Spielleiterinformation, die in Abenteuern ausgeführt/angewendet werden kann). So schön der Text als Besychreibung für Spieler wäre, nachdem ihre Charaktere eine gewisse Zeit in Nihavand sind – durch diese eingestreuten Spielleiterinformationen kommen doch eine ganze Menge Spoiler hinein, so dass der naheliegende Verwendungszweck so nicht umgesetzt werden kann.

Die Personenbeschreibungen sind allerdings für den Spielleiter sehr nett – nicht nur enthalten sie Abenteuerideen, sie bieten auch Ideen für Persönlichkeiten. Leider fallen eine ganze Reihe der vorgestellten Personen in die allgemeine Kategorie 'Ausländer' – auch hier hätte ich mir mehr Araner gewünscht, um ein Gefühl für die Leute des Landes zu erhalten. So erwecken auch diese NSCs den Eindruck, dass Nihavand als Hafenstadt und Verbindung zur 'großen weiten Welt' eher eine Ausnahmerolle in Aran spielt denn als typische aranische Stadt angesehen werden kann.

Die Aufteilung ist ungewöhnlich – auch wenn Aran ziemlich groß ist, beschränkt der Band sich hautpsächlich auf Nihavand als 'typische Stadt Arans'. Über die anderen Stäte erfährt man nur wenig – und Nihavand ist doch auch in nicht zu unterschätzendem Maße geprägt von den Gästen und Reisenden, die hier unweigerlich auflaufen. Man fragt sich unwillkürlich, inwieweit die anderen Gegenden konservativer, xenophober und eben 'aranischer' sind als Nihavand. Insofern ist die Bezeiochnung 'Quellenbuch Aran' auf dem Cover ein wenig irreführend.

Wohl schon eher ungewöhnlich für ein Midgard-Quellenbuch dürfte sein, dass es im spieltechnischen Bereich nur wenig zu finden gibt. Weder zu den Besonderheiten aranischer Magier, noch im Bestiarium finden sich viele spielrelevante Werte – für einen erfahrenen Spielleiter wohl weniger ein Problem, aber für jemanden, der nicht so viel leitet, wären Werte, Beispielcharaktere etc. eine willkommene Richtschnur gewesen. Gerade was die Besonderheiten aranischer Magier angeht, wären mehr Erklärungen sicher willkommen gewesen.

Zu den beiden Abenteuern will ich nicht allzuviel sagen, nur so weit: sie haben einen gewissen Zusammenhang, was dazu führte, dass die NSC-Beschreibungen für beide Abenteuer zusammengefügt wurden (um Verweise bzw. Doppelbeschreibungen zu vermeiden). Das hat aber dann den Nachteil, dass eine Gruppe, bei der die Spielleiter ihre Rollen abwechseln, hier einer echten Spoilergefahr ausgesetzt sind: der Spielleiter des ersten Abenteuers erfährt nahezu automatisch einige Geheimnisse, die erst im zweiten Abenteuer interessant werden – in dem der Spielleiter dann ggf. wieder als Spieler aktiv sein will. Ansonsten sind die Abenteuer ganz gut gemacht und passen auch qua Stimmung gut in den Band. Ziel der beiden Abenteuer sind allerdings Ausländer, die die aranische Kultur noch nicht so gut kennen.

Das Buch an sich ist, wenn man nicht gerade auf eine ausführliche Beschreibung des eigentlichen Aran angewiesen ist, sicher seinen Preis wert. Die oben erwähnten Kritikpunkte sind teilweise sicher sehr beckmesserisch, insgesamt überwiegt eindeutig der positive Eindruck.

Hersteller Verlag für F&SF-Spiele
Autoren Iris Tinius, Holger Epp et al.
Spieler RPG
Denken RPG
Glück RPG
Geschicklichkeit RPG
Preis € 24,95

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