Dunkle Häresie

Schattenjäger

Die Welt von Warhammer ist, wie wohl die meisten wissen, zweigeteilt: auf der einen Seite Warhammer Fantasy, eine mehr oder weniger Standard-Fantasywelt mit Elfen, Zwergen, Halblingen, Orks etc., die von den Mächsten des Chaos bedrängt wird (und deren Adel teilweise ebenfalls bereits dem Chaos verfallen ist), auf der anderen Warkammer 40.000, eine düstere Science-Fiction-Welt, die sozusagen die Welt von Warhammer Fantasy durch 40.000 Jahre technischer Entwicklung schleift und das Ergebnis darstellt.

Auch die Warhammer-40.000-Welt lebt von der Auseinandersetzung der 'Mächte des Lichts' mit denen des Chaos – aber statt dass sich Wachmänner, Priester und Magier mit Orkz und anderen Chaosdienern auseinandersetzen müssen, müssen sich jetzt die Hochheilige Imperiale Inquisition und die Sicherheitskräfte mit … Orkz und anderen Chaosdienern auseinandersetzen. Magier gibt es inzwischen nicht mehr so richtig, stattdessen haben sich "wissenschaftlichere“ Psi-Kräfte etabliert. Die verschiedenen Zweige der Gesellschaft werden von Fantasy Flight Games (und vom Herausgeber der deutschen Übersetzungen, Feder und Schwert) in getrennten Bänden veröffentlicht – der erste solcherart erschienen Band heisst auf Deutsch 'Schattenjäger‘ (orig.: Dark Heresy).


In Schattenjäger wird die Rolle der Inquisition näher betrachtet. Die Spieler stellen Charaktere dar, die im Dienste eines Inquisitors Häresie und Mutanten aufspüren sollen. Der Dienst ist hart und oftmals kurz – nicht, weil man sich durch gute Arbeit die Freiheit erarbeitet, sondern weil Leichen so schlechte Arbeitnehmer darstellen. Dass der Imperator selber seit über 10.000 Jahren eigentlich in diesem Zustand verkehrt, nur durch den Thron am Leben erhalten, auf dem er sitzt, ändert da auch nichts dran. Charaktersterblichkeit bei Warhammer 40K (wie Warhammer 40.000 auch genannt wird) ist hoch, damit muss man leben.

Angesichts einer hohen Charaktersterblichkeit ist ein einfaches Charaktererschaffungssystem natürlich Pflicht – wenn man (mit Pech) jede 2., 3. Sitzung einen neuen Charakter erschaffen muss, wäre eine Charaktererschaffung von DSA-Ausmaßen mehr als ärgerlich. Glücklicherweise ist das System relativ einfach und schnell.

Es erinnert in den Regeln an Warhammer FRP in der 1. oder 2. Edition – die brandneue englische Version (3rd Ed.) sieht ja ziemlich anders aus. Ein Charakter hat neun 'Werte' (ein DSA-ler würde 'Eigenschaften‘ sagen, allgemeiner RPG-Jargon ist wohl eher auf neudeutsch 'Stats‘): Kampfgeschick, Ballistische Fertigkeit, Stärke, Widerstand, Gewandtheit, Intelligenz, Wahrnehmung, Willenskraft und Charisma. Diese werden, abhängig von seiner Jugend und Erziehung (als Spieler kann man die Art Welt, von der man kommt, auswählen) ausgewürfelt, wobei die Ergebnisse idR im Bereich zwischen 25 und 45 liegen.

Die angegebenen Welte sind übrigens keine bestimmten, sondern generische Beschreibungen für verschiedene Weltentypen, denn das Imperium ist groß. Die Welten werden aber in vier Kategorien eingeteilt, aus denen man sich eine aussuchen kann, und die einen gewissen Einfluss haben auf die Startwerte und -fertigkeiten.

Die Werte können sich durch Erfahrung noch steigern – maximal um weitere 20 Prozentpunkte, wobei nur Schritte von fünf Prozentpunkten möglich sind, und diese auch ziemlich teuer: Steigerungen werden in Erfahrungspunkten bezahlt, und für die vier Schritte zahlt man hier im Schnitt 250, 500, 750 und 1000 EP – bei mehreren Steigerungen kumulativ. Diese Kosten sind allerdings abhängig vom gewählten Karrierepfad – ein Söldner zahlt für die erste Stärke-Erhöhung beispielsweise nur 100 Punkte, ein Psi-Anwender 500.

Außerdem gibt es Fertigkeiten und Talente, die man im Laufe der Zeit erwerben kann. Manche Aktion kann man ohne die entsprechende Fertigkeit gar nicht ausführen, andere nur wesentlich erschwert. Auch der Erwerb von Fertigkeiten wird mit EP bezahlt, wobei diese meist billiger sind als Wertsteigerungen, zumindest im Basisbereich: idR kostet so eine Fertigkeit 100 – 200 EP.

Welche Fertigkeiten man erwerben kann, ist abhängig von der gewählten Karriere. Zu Spielbeginn wählt man eine Karriere (sozusagen einen 'Beruf‘) aus, und folgt dieser dann. Wenn man eine bestimmte Anzahl EP ausgegeben hat (für Wertesteigerungen und Fertigkeiten), steigt man in der Karriere eine Stufe auf, und hat Zugang zu (teilweise) anderen Fertigkeiten.

Leider ergibt sich hierbei eine Undeutlichkeit, die erst mit den ersten Errata aufgelöst wird, die auf dem Internet zum Download (PDF, 8 MB) angeboten werden. Wenn man die Fertigkeitenerwerbstabellen ansieht, scheint es, als hätte man nur die zur Verfügung, die in der 'aktuellen' Tabelle stehen. Nur wenn man die die Errata ganz genau liest, erfährt man, dass man Erhöhungen aus früheren Stufen immer noch 'nachkaufen' kann – ansonsten könnte man zum Beispiel nicht 'Schwimmen +10' erwerben, wenn man nicht zum entsprechenden Zeitpunkt in der Karriere 'Schwimmen' gelernt hätte.

Interessant ist auch, dass man innerhalb der Karrieren verzweigende Karrierepfade hat – wenn man eine bestimmte Stufe erreicht hat, kann man sich für eine von zwei oder drei weiterführenden Stufen entscheiden, die dann oft wieder für mehrere Stufen die Entwicklung festlegen, bevor die Pfade wieder zusammenlaufen. Diese eingeschränkte Wahlmöglichkeit ersetzt den Karrierewechsel von Warhammer FRP, mit dem man einen 'Quereinstieg' machen konnte – Quereinstiege sind bei Schattenjäger nicht vorgesehen, wer einmal die Karriere des 'Abschaums' gewählt hat, bleibt bis zum Ende in dieser Karriere.

Die Übersicht über die verschiedenen Karrierepfade und die hiermit verbundenen Erhöhungsmöglichkeiten nimmt einen ziemlich großen Raum ein. Immerhin muss für jede der verschiedenen Karrieren der gesamte Pfad ausgeführt werden – und das macht für jeden Pfad mehrere Seiten nötig.

Was macht man mit den Fertigkeiten? Schließlich hat man beispielsweise nur eine Fertigkeit 'Schwimmen' bzw. später eine 'Schwimmen +10′, aber keinen Wert, auf den man würfeln könnte. Hier kommen die 'Werte' ins Spiel: zu jeder Fertigkeit gehört ein Wert (zu Schwimmen beispielsweise Stärke), und es wird mit einem Prozentwurf auf den Wert gewürfelt – bzw. auf den Wert +10, wenn man Schwimmen +10 hat, etc. Nicht erlernte Fertigkeiten werden grundsätzlich auf den halben Wert gewürfelt.

Das Buch folgt dem klassischen Aufbau für ein Grundregelwerk: eine kurze Einleitung in die Welt, anschließend ca. 30 Seiten zur Charaktererschaffung. Mit fast 60 Seiten ist dann das Kapitel zu den Karrierepfaden das größte – überraschend, wenn man bedenkt, dass Warhammer 40K klassisch ein System ist, das die 'geschliffene Fachdiskussion‘ mit so durchschlagenden Argumenten wie Pistolen, Bomben und Boltern bevorzugt. Zunächst aber kommen erst noch Talente und Fertigkeiten (insges. ca. 30 Seiten), was die Charaktererschaffung und -Steigerung auf insgesamt 120 Seiten bringt – keine Kleinigkeit.

Hiernach kommt – als kleiner Bruch mit der klassischen Struktur – erst noch die Abrundung der Charakterregeln mit Ausrüstung (ca. 35 Seiten) und Psikräften (ca. 25 Seiten) – für letztere sollte man sich aber wieder auf jeden Fall die oben gelinkten Errata herunterladen.

Das nächste Kapitel (mit knapp 40 Seiten relativ kurz gehalten) ist dann das, was man beim Gedanken an eine Welt, die auf einem Tabletop-System beruht, schon schmerzlich vermisst hat: das Kapitel 'Das Spiel' beinhaltet nicht nur (kurze) Regeln zum Einsatz von Fertigkeiten und Talenten (die teilweise wie eine Wiederholung von früher gesagtem wirken), sondern auch den Kampf und die Nachwirkungen davon. Unschön ist, dass der situationsbedingte Bonus für eine Aktion auf 30% begrenzt ist – mit diesen Regeln würde ein Lehrer, der mit den Kindern zum Schulschwimmen fährt, sich schon allein durch den Vorschlag des versuchten Totschlags schuldig machen: auch mit allen Boni bietet ein Fertigkeitswurf viel höhere Chancen zu versagen, als man das von Schulklassen im Schwimmbad her kennt… Dies ist eine Regel, die man (wissend, warum man es tut, und dass die Regel nur für den 'Ernstfall' gedacht ist) unter gewissen Umständen geflissentlich ignorieren sollte.* Bei den Kampfregeln fällt auf, dass Fahrzeug- und Raumschiffkampf, die man in so einem Setting erwarten würde, völlig ausgespart bleiben.

Das Kapitel zum Spielleiten (ca. 30 Seiten) verfolgt gleich zwei Ziele: zum einen will es eine Einleitung in 'gutes Spielleiten‘TM sein, zum anderen die Mechanismen, die ein WH40K-Spielleiter benötigt, darstellen. Ersteres wird in der üblichen Qualitätsstufe erreicht – ein Neuling, der eine grobe Ahnung hat, was ein Spielleiter tut, sollte hier einige nützliche Tipps finden, aber ein Spielleiter, der schon längere Zeit (erfolgreich) leitet, hätte wahrscheinlich mehr an 'Erfolgreich Spielleiten' von Dominik Wäsch und ähnlichen Fachbüchern. Die Regeln zu NPCs, Erfahrungen etc. hingegen wirken teilweise arg starr und teilweise überraschend (ein gläubiger, loyaler Bürger des Imperiums, dem ein Inquisitor einen Befehl gibt, hat ein 40prozentige Chance – also fast 50-50 –, diesen Befehl zu ignorieren oder Goethe falsch zu zitieren – man sehe im Wikipedia-Artikel das Zitat aus dem 3. Aufzug). Alles in allem ist dieses Kapitel zwar schwächer als der Rest des Bandes, aber trotzdem brauchbar.

Anschließend kommen die Kapitel, die der Spielleiter sich erst durchlesen sollte, bevor er sie (evtl. auch auszugsweise) für die Spieler freigibt: zweimal gut 20 Seiten zum Leben im Imperium und zur Inquisition, sowie fast 50 Seiten über den Calixis-Sektor – den Teils des Imperiums, der mit dem offiziellen Material bespielt werden kann bzw. soll. Hier kann ein nichtsahnender Spieler, wenn er Pech hat, über Spoiler stolpern, die ihm spätere Abenteuer vergiften: der Spielleiter sollte hier gegebenenfalls vorfiltern. Allerdings reisst das alles die Situation im Warhammer40K-Universum nur oberflächlich an, und wer es nicht bereits (aus den Romanen oder vom Tabletop het) kennt, wird eine ganze Menge Informationen vermissen.

Auf den nächsten ca. 36 Seiten kommt ein 'Bestiarium' – Fertigkeiten von Tieren, Mutationen (wirken ähnlich wie Talente), Kreaturen und NPCs. Hier vermisse ich ein wenig die Aliens, die laut Hintergrund ja zu finden sein sollten.

Zuguterletzt kommt das (wohl unvermeidliche) Einstiegsabenteuer, das allerdings ziemlich umfangreich ausgefallen ist. Es misst zwar nur knapp 40 Seiten, bietet aber genug Spielmaterial für mehrere Spielabende (die im Buch genannten 4-5 Abende wird es allerdings eher nicht koomplett füllen, 3 sollten aber wohl drin sein). Beim Bau einer Kathedrale auf dem Agrarplaneten Iocanthos ereignen sich eine ganze Reihe seltsamer Phänomene, und wer darf natürlich die Kastanien aus dem Feuer holen? Wenn Iocanthos beschrieben wird, werden allerdings die Spieler wahrscheinlich sofort fragen: 'Was ist ein Agrarplanet? Welche Werte hat jemand, der von so einem Planeten kommt? Und wieso können wir nicht so jemanden spielen?' Hier wird der Spielleiter möglicherweise eine gehörige Menge Handwavium benötigen…

Die Qualität des Buches ist gut: Hardcover, Lesebändchen (eines), vollfarbig – alles macht einen hochwertigen Eindruck. Vereinzelte Tippfehler sind zu finden, aber nicht in einem Umfang, dass es störend wäre, und sinnentstellende Tippfehler sind mir auch nicht aufgefallen. Ein Index ist zwar vorhzanden, aber leider nicht immer logisch strukturiert: die Eigenschaftsbeschreibungen findet man alle unter E, die Kampfmodifikatoren aber nicht unter K sondern als eigenständige Einträge quer über den Index verteilt. Die Übersicht über die Tabellen ist nützlich, der als Kopiervorlage mitgelieferte (und auch beim Hersteller downloadbare) Charakterbogen bietet aber für manche Bereiche ganz einfach zuwenig Platz.

Alles in allem ist Schattenjäger also ein Rollenspiel, das sich vor allem auf den Warhammer40K-Spieler richtet (wegen des Welthintergrundes sollte mindestens ein Spieler dabei sein, der das Universum bereits kennt). Die Regeln sind leicht eingängig und stören sen Spielfluss nicht. Und das ist doch das wichtigste…

Hersteller Feder und Schwert
Autoren Owen Barnes, Kate Flack und Mike Mason
Spieler RPG
Denken RPG
Glück RPG
Geschicklichkeit RPG
Preis € 49,95

* Es gilt wie immer beim Rollenspiel: Wenn Dir eine Regel nicht passt, versuche zu verstehen, was mit ihr erreicht werden soll. Dann, und wenn es für Deine Zwecke notwendig ist, verändere oder ignoriere sie nach Herzenslust. Du musst allerdings wissen wieso Du sie ignorierst, und was die möglichen Folgen sein können.

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