Welt der Finsternis

finsbasFinsterland Basisbuch / Almanach der Zauberkunst

Ein Rollenspiel aus Österreich? Hardcover, aber reines Amateurprojekt? Magischer Steampunk à  la Castle Falkenstein, mit europäischem Einschlag? Als ich das Finsterland-Basisbuch und den Almanach der Zauberei für das System auf der RPC dieses Jahr zum ersten Mal als real existentes Produkt sah, war das natürlich schon etwas ungewöhnliches. Und so war ich dann auch froh, dass man mir je ein Rezensionsexemplar geben konnte, die ich jetzt auch probespielen konnte.

Ein wenig wirkt es ja schon ungewöhnlich, dieses Regelwerk mit 168 Seiten im Hardcover – vergleichsweise dünn, wenn man bibelformatige Rollenspielregeln wie bei DSA, Cthulhu, Midgard, der World of Darkness etc. gewohnt ist. Auch ist das Titelbild vergleichsweise düster, sogar die meisten Horror-Rollenspiele kommen poppiger daher. Das dürfte aber Methode sein: die Bilder passen gut zu diesem eigenartigen Mix aus Viktorianismus, 20er Jahre und Steampunk, der die Spielwelt beschreibt.

Der Aufbau des Regelwerks folgt, eher dem "klassischen“ Aufbau: eine kurze Einführung, was denn ein Rollenspiel ist, dann erst die Charaktererschaffung, dann die Regeln zum Spielablauf und erst dann die Welt. Nachdem ich die alternative Vorgehensweise in einigen anderen Regelwerken gesehen habe, muss ich sagen, dass die Umkehrung – zuerst die Weltbeschreibung, und dann erst die Regeln – dem Band sicher nicht geschadet hätten: Einer meiner Spieler hatte bereits einen Machinæ erbaut, als er im Weltteil lesen musste, wie schlecht diese eigentlich angesehen sind. Das Charakterkonzept – eine Art steampunkiger Iron Man – funktionierte so irgendwie nicht so recht…

Aber in manchen anderen Punkten dürfte das System dafür sehr eingängig sein. Die Charaktererschaffung ist ein kombiniertes Würfel- und Punkteverteilsystem, wobei die wesentlicheren Punkte durch Verteilung von Punkten vorgenommen werden, und man anstelle der Würfel auch eine Reihe vorgegebener "Standardverteilungen“ wählen kann.

Bevor jetzt jemand meint, ein Würfel-Erschaffungssystem wäre ja inhärent unausgewogen, weil es eben keine ausgleichende Mechanismen für schlechte Würfler gibt: Bei Finsterland gibt es genau diesen Ausgleich. Je höher nämlich die gewürfelten Eigenschaften, desto schlechter die Willenskraft als abgeleiteter Wert. Und die Willenskraft ist nicht nur einer der entscheidenden Punkt bei der Frage, ob man NSCs herumkomandieren kann, sondern hat auch direkten Einfluss auf die Lebenserwartung, zumindest im Fall einer gewalttätigen Auseinandersetzung. Und man kann sie verwenden, um zusätzliche Würfel bei Würfen zu erhalten, also wie eine Art Gummipunkte/Bennies.

Für die "Handlungen“ (andere würden es Fertigkeiten, Skills oder Talente nennen) gibt es drei Bereiche – Athletik, Leben und Soziales, aus denen man einen Bereich als sehr wichtig für den Charakter und einen als unwichtig für den Charakter festlegt. Jeder Bereich hat fünf Skills, auf die man im wichtigen Bereich 9, im mittleren Bereich 7 und im unwichtigen Bereich 5 (= Würfel) verteilen kann. Ein Magier hat noch einen vierten Bereich, Zauberei, in dem es nur die Handlung Zaubern gibt, für den er aber die Punkte aus den anderen "abziehen“ muss. Außerdem darf nur eine einzige Handlung einen Wert von 3 haben, und das ist für Anfänger der Höchstwert.

Außerdem gibt es noch "Spezialmanöver“ zu kaufen, die wiederum in eine Reihe von Unterfertigkeiten gegliedert sind. Hierzu gehören dann auch die verschiedenen Richtungen der Magie, die in die vier klassischen Elemente unterteilt ist.

Wir haben also Eigenschaften im Bereich von effektiv -2 bis +5, und Handlungen im Bereich von 0 bis 3. Wenn jemand etwas tun will, addiert er eine Handlung zu einer Eigenschaft (ein Bild malen: Gewandtheit plus Handwerk) und würfelt mit dieser Anzahl W10. Jede 7 ist ein Erfolg, jede 10 ab der zweiten zählt dreifach. Klingt bekannt?

Ja, ein wenig ist das Finsterland vom System angelehnt an die World of Darkness, aber es ist dennoch inkompatibel. Keine WoD-Vampire oder -Werwölfe, die Helden haben bereits genug mit ihren eigenen Problemen zu tun.

Im Kampf wird statt einer Battlemap, auf der mit Zollstock und Maßband gearbeitet werden muss (wie es zum Beispiel Savage Worlds eigentlich vorsieht), eine selbständige Karte des Kampfplatzes verwendet mit Kreisen, die Orte darstellen, wo man sich befinden kann. Das kann in einem Raum beispielsweise "links vom Schreibtisch – rechts vom Schreibtisch – hinter dem Schreibtisch – vor dem Schreibtisch – auf dem Schreibtisch – in der Fensternische rechts“ sein, und wer herumlaufen will, kommt idR in einer Kampfrunde nur zum nächsten Kreis. Kämpfe sind ebenfalls davon abhängig, in welchem Kreis man steht und wer da noch steht. Das ganze wirkt auf den ersten Blick beim Durchlesen ein wenig wirr, spielt sich aber überraschend gut und flüssig.

Seine Erfahrung kann man nicht nur darauf ausgeben, Untermanöver hinzuzukaufen und die Werte der Eigenschaften und Handlungen zu verbessern. Jeder SC gehört auch einem "Verein“ an, einer Gruppe Menschen mit ähnlichen Zielen, die sich gegenseitig unterstützen. Hier kann man für die eigene Berufswahl interessante zusätzliche Eigenschaften erwerben.Und was alles passieren kann, darauf gibt der folgende Weltteil eine kurze Antwort. Seit einem größeren Krieg vor zehn Jahren ist nämlich durch die folgenden Wiederaufbaumaßnahmen die soziale Struktur in Bewegung gekommen. Die strikte Standestrennung Viktorianischer Prägung (wie sie auch in Systemen wie Cthulhu Gaslicht, Private Eye oder Castle Falkenstein je nach Gruppe angedeutet bis durchgezogen wird) ist hier in der Auflösung begriffen, und führt zu entsprechenden sozialen Unruhen. Metropolis von Fritz Lang lässt grüßen.

Die Karte des Kontinents erinnert nur in gewissen Grundzügen an die Europas – der italienische Stiefel hat sich umgewandelt in ein paar Inseln, Großbritannien hat Ärmelkanal und Nordsee verdrängt und liegt direkt an Kontinentaleuropa an etc. Mir gefällt das sehr gut, wie auch die weitere Weltbeschreibung – auch wenn es hier, wie gesagt, ein paar böse Überraschungen geben kann für Spieler, die ihre Charaktere erstellt haben, bevor sie die Weltbeschreibung gefunden haben.

Gefolgt wird das ganze durch einen launig zu lesenden, aber manchmal doch verwirrenden Spielleiterteil. Viele Tipps hier sind entweder selbstverständlich oder unnötig, manche fördern sogar eher den Railroading-Stil, aber wie immer gibt es auch hier ein paar Denkanstöße, die man mitnehmen sollte. Schön ist der Abschluss, in dem einmal Tipps gegeben werden, wie man selbst ein Abenteuer entwerfen kann – eine Ressource, die man bei vielen größeren Systemen vergeblich sucht. Auch ist die folgende Liste mit Monstern und Gegnern sehr stimmig und macht Lust.

Zum Abschluss gibt es, wie vielmals üblich, ein Abenteuer für Einsteiger. Es gibt eine relativ starre Abenteuerstruktur, die sich größtenteils von selbst ergibt, wenn die Spieler die logischen Wege gehen. Hier ist nur zu bemängeln, dass mir manche Reaktionen und Umstände der Spielwelt doch arg railroadend erschienen. Als Einführungsabenteuer ist es aber gut geeignet – es scheint auch vor allem gemacht zu sein, dass man ein wenig die Welt kennen lernt.

finsmagAlmanach der Zauberkunst

Ungefähr genauso dick wie das Grundregelwerk, hat der Almanach zwar ein eigenes Titelbild, man sieht ihm aber sofort an, dass er zum selben System gehört.

Wer aber jetzt erwartet, hier mehr Zaubersprüche zu finden, wird großenteils enttäuscht werden. Etwa zehn Seiten beinhalten Zaubersprüche – unter denen ausgerechnet der Unsichtbarkeitsspruch passenderweise unsichtbar ist… Das Versehen wurde aber schnell über einen Download auf der Webseite korrigiert.

Was gibt es ansonsten in dem Buch, wenn schon kaum neue Zauber zu finden sind? Zum einen ein ziemlich ausführlicher Teil über das Leben der Magier – ein Punkt, der im Hauptband leider ein wenig zu kurz kam. Sowohl die Ausbildung als auch das Leben der verschiedenen Magietraditionen werden beschrieben, ebenso wie die Gründer der vier magischen Richtungen (Elementarmagie), und einzelne andere bekannte Magier der Geschichte – diese historischen Magier jeweils mit Abenteuerideen, die in wenigen Worten (maximal drei Zeilen) die Phantasie anregen.

Es schließt sich ein Spielleiterteil an, in dem noch einmal ausführlich auf die Besonderheiten von Magiern in normalen Kampagnen und von Magierkampagnen (also wenn alle Spieler einen Magier darstellen) eingegangen wird. Anschließend gibt es dann noch eine große Ergänzung zu den Gegnern des Hauptbuches – alles Wesen, die selber Magie beherrschen, magisch belebt sind oder die einem Magier das Leben so richtig sauer machen können.

Und zum Abschluss ein Abenteuer. Eine junge Frau bittet die SCs, ihren Freund zu suchen, der verschwunden ist. Dieser Freund studiert eigentlich Magie an der lokalen Universität, wenn man aber versucht, einen Termin zu erhalten, wird man auf "nächsten Monat vielleicht?“ vertröstet. Das Abenteuer verläuft wieder ziemlich linear, aber logisch, und ist vor allem darauf angelegt, die Magie darzustellen.

Fazit

Die Sprache ist großenteils ganz gut – es gibt auch sehr wenig Teppfuhler – und man merkt eigentlich nicht, wo der Text geschrieben wurde. Nur ganz selten blitzt einmal ein Brocken Wienerisch durch – und das dann gerade da, wo man im ersten Augenblick dann stolpert. Am meisten fielen mir Begriffe wie "Würstel“ oder "Schmäh“ auf, die für ein Nordlicht wie mich schon ziemlich wienerisch klingen.

Alles in allem also ein grundsolides Werk, das da aus Wien kommt. Und es gibt noch einige weitere Pluspunkte, die andere Systeme alt aussehen lassen.

Neben einer guten FAQ findet man auf der Webseite des Verlages nämlich auch Abenteuer zum Download – und damit meine ich nicht die ein, zwei Feigenblatt-Downloads, die manch anderer Verlag anbietet. Nein: Es sind über 50 Abenteuer, eine Kampagne in 9 Teilen und ein Einführungsheft, sowie Kartenmaterial, Tabletop-Regeln, und Traktate zu Themen wie Geld, Katzen und Machinae im Finsterland und so weiter.

Katzen heisst: Regeln, mit denen man Katzen in dieser Welt spielen kann (allerdings sollte man sie nicht mit menschlichen SCs zusammen losschicken).

Besonders sei dem Neuling das Einführungsheft ans Herz gelegt: ein gutes Abenteuer – ein anderes als im Regelwerk – wird begleitet von einer Übersicht über die wichtigsten Regeln und vier fertigen Beispielscharakteren, die spielklar sind.

Und es gibt hier auch Charakterbögen. Zum einen den auch im Regelbuch abgedruckten – der aber leider durch einen recht schwer lesbaren Handschriftfont auffällt, aber auch eine alternative Version mit ganz normalen Druckbuchstaben.

Die übrigen Abenteuer sind eigentlich eher Grundgerüste: auf einer Seite findet man Eine Übersicht über der geplanten Abenteuerverlauf, ein Szenenplan, die wichtigsten NSCs und eine Kurzbeschreibung des Schauplatzes. Mit ein wenig Arbeit kann man etwas gutes daraus machen – aber ein fertiges Abenteuer ist es sicher nicht…Alles in allem eine etwas andere Welt, die düsterer wirkt als das doch recht pulpig-bunte Catle Falkenstein, und ein System, an das man sich gewöhnen kann, wenn man nicht gerade ein glühender WoD-Hasser ist. Spielbar ist es allemal, und bislang sind auch noch keine rechten Balanceprobleme entdeckt worden.

Hersteller Finsterland
Autor Georg Pils & Gregor Eisenwort (beie Bände), Michael Prammer (Almanach)
Spieler RPG
Denken RPG
Glück RPG
Geschicklichkeit RPG
Preis ca. ca. € 30 (Grundregelwerk), ca. € 25 (Almanach der Zauberkunst)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert