Reiter der schwarzen Sonne
Sogenannte Spielbücher gibt es mittlerweile schon seit vielen Jahren, und für einige stellen sie sogar den Einstieg ins Rollenspiel dar. Es gibt sie in so ziemlich jedem erdenklichen Genre, in fast jeder Größenordnung, mit verschiedenen Kampfmechaniken – allerdings ist die Basismechanik schon bei allen gleich, man hat in der Regel Wahlmöglichkeiten, die dem Leser dann sagen "lies dort weiter“, und an der angegebenen Station findet man dann heraus, ob die getroffene Entscheidung eben die richtige war. So oder so wird der Leser zum Hauptdarsteller einer Geschichte, und diese entwickelt sich dementsprechend in die Richtung, die der Leser eben wählt.
So auch im vorliegenden Band Reiter der schwarzen Sonne – der Titel ist imposant, das Cover ziert die Silhouette eines berittenen Drachen vor – nun, soll es Mond oder Sonne darstellen? Das wird der geneigte Leser wohl selber herausfinden, denn in diesem Buch kann (und wird) die Spielfigur einen Drachen als Reittier bekommen (damit verrate ich nicht zu viel, was ansonsten ja bei Solo-Abenteuern immer ein kitzeliges Thema ist). Das ist schon etwas besonderes – in diesem Rahmen mir noch nicht in einem Spielbuch begegnet, und dementsprechend gibt es auch vielerorts ungewohnte Möglichkeiten, was man so tun kann (immerhin reitet man ja zeitweise einen Drachen…).
Da ich dem Leser nicht zu viel Spannung vorwegnehmen will, sei folgendes gesagt: Man weiß am Anfang so ziemlich gar nichts, nicht mal so recht, wer man denn eigentlich ist, geschweige denn wo, wieso, und bevor man sich versieht steckt man in Schwierigkeiten… aus denen man herausfinden sollte, und letztendlich sollte man mal wieder die Welt retten – na klar, wenn schon episch, denn schon. Aber ansonsten kann dieses kapitale Buch (sind ja "nur“ über 700 Seiten) mit einigen Neuheiten aufwarten, die es so vorher zumindest nicht gab.
Zuerst einmal ist es wirklich in verschiedene Kapitel unterteilt – die Spielfigur bleibt die gleiche, macht aber wieder eine neue Erfahrung, lernt dazu, entwickelt sich weiter (dementsprechend gibt es vor jedem Kapitel einen Einschub mit den neuen Regeln und deren Anwendung, finde ich gut gelungen). Das ganze hat etwas von einer Serie – die nächste Folge kommt, und in der Werbepause lernen wir eben, was jetzt interessant wird, und uns vorher noch nicht gekümmert hat. Auch ein guter Faktor: die sogenannten Schicksalspunkte. Diese kann man einsammeln, wenn man einen bestimmten Weg wählt, und nur auf einem ganz bestimmten Weg kann man sie wirklich alle bekommen. Die Geschichte kann allerdings auch anders verlaufen – dann gelangt man unter Umständen an ein anderes Ende (oder auch an andere Zwischensequenzen), hier ist also nicht so extremes Railroading an der Tagesordnung wie bei einer Vielzahl anderer Spielbücher.
Auch ist ungewohnt, dass die Kampfkapitel eine eigene Abteilung im Buch haben – das macht das ganze durchaus etwas übersichtlicher – und dass es die oben erwähnten Bonussektionen gibt, die man eben nur unter bestimmten Umständen erreicht. Wenn man nachher feststellt, dass einem Schicksalspunkte fehlen, hat man sich wohl an einigen Stellen "falsch“ oder zumindest anders entschieden, als es am besten gewesen wäre. Am Ende eines jeweiligen Kapitels erfährt man, welche Schicksalspunkte zu holen waren – allerdings nicht wie – und kann sich dann überlegen, es noch einmal zu versuchen. Der Wiederspielwert ist also durchaus gegeben; dass man direkt alles im ersten Anlauf schafft, ist eher unwahrscheinlich.
Neben den durchaus spielbuchtypischen Kämpfen gibt es auch eine beachtliche Menge Rätsel, die ganz unterschiedlich zu lösen sind (und manchmal ein deutliches um die Ecke denken oder auch mal wortwörtlich nehmen erfordern); an solchen Punkten sollte man schon recht genau lesen (Querleser haben hier leicht verloren). Im Gegensatz zu vielen anderen Spielbüchern, die ich so kenne, sind die Hinweise zur Lösung eben nicht so offensichtlich, was den Rätselfreund freuen dürfte. Es ist auch schön, dass man bspw. durch überlegte Strategie viele Probleme umgehen kann, und zwar der rote Plotfaden insgesamt verfolgt wird, aber es durchaus eine Reihe verschiedener Ergebnisse gibt, die dann eben die Geschichte ein wenig verändern, aber nicht unbedingt direkt beenden, wie sonst oft üblich.
Hintergrundtechnisch spielt das Szenario in einer Fantasywelt, über die ich ganz bewusst nicht allzu viel verraten will, da der Leser dies erst selbst entdeckt, und dies den Großteil des Spielreizes ausmacht. Es ist aber anzumerken, dass es durchaus mythologische Anleihen gibt (insbesondere an den babylonischen und auch den ägyptischen Mythos, aber nicht nur); diese sind allerdings nicht so dominant, dass man das Gefühl hätte, in Gilgameschs Fußstapfen zu treten (das wäre dann ja auch ein wenig langweilig).
Was die Artwork angeht, kann der Leser sich eigentlich freuen, dass die ursprünglich geplante Artwork nicht pünktlich fertig geworden war – denn so kam es dazu, daß Fufu Frauenwahl als Künstler einsprang, und der Leser so einen deutlich anderen – und wie ich finde zur Thematik weit besser passenden – Stil zu sehen bekommt als von Rich Longmore, dem aktuellen Illustratoren der Einsamer Wolf – Reihe aus dem gleichen Verlag. Dieses Detail, wie auch einige andere interessante Kleinigkeiten zum Buch, findet man in der Beilage Die Geheimnisse von Reiter der schwarzen Sonne, die es sowohl separat gibt, als auch in der Special Edition inklusive ist. Außerdem findet man dort auch noch – für den Notfall – die Lösungen zu den wirklich kniffligen Stellen, wenn man einfach nicht drauf kommt (aber man sollte es erst einmal ohne Hilfe versuchen), sowie Skizzen, die zeigen, wie sich manche Artwork entwickelt hat.
In der Special Edition (im Schuber) sind neben den Geheimnissen auch noch eine Soundtrack-CD, ein Lesezeichen und eine Farbkarte der Spielwelt enthalten – alles gibt es auch einzeln, im Bundle aber günstiger. Insgesamt ist das 756 Seiten starke (und jetzt überarbeitete, es hatte tatsächlich noch den ein oder anderen kleinen Fehler) Buch sicher eine lohnende Anschaffung – wer Spaß an Spielbüchern hat, wird hier lange Freude haben, und es sicherlich mehrmals durchprobieren.
Hersteller | Mantikore Verlag |
Autor | Swen Harder |
Künstler | Fufu Frauenwahl |
Spieler | 1 |
Denken | Rollenspiel |
Glück | Rollenspiel |
Geschicklichkeit | Rollenspiel |
Preis | 19,95 € (Normalausführung), 24,95 € (Special Edition), 9,95 € (Upgrade Kit mit Schuber, Soundtrack, Lesezeichen, Booklet "Die Geheimnisse von Reiter der schwarzen Sonne“, Farbkarte) |
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