Los Muertos – Erstverkaufstag
Es gibt viele Ansätze, wen oder was man im Rollenspiel spielen kann: Menschen, Orks, Elfen, Katzen, Aliens, Roboter, Werwölfe, Plüschtiere und so weiter. Eher ungewöhnlich ist aber die Idee, einen Toten zu spielen. Tote sind immerhin so etwas wie Schnabeltiere: Sie machen nicht viel, wenn man (für letztere) einer Zeichentrickserie glauben darf. Aber so wie es in der erwähnten Serie den Agenten P gibt, kann man sich auch bei der Einschätzung der Toten irren. Und nein, es sind nicht irgendwelche Untote – die als spielbare Wesen kennt man ja beispielsweise von der World of Darkness oder Deadlands -, sondern wirklich Tote.
Für das Rollenspiel Los Muertos hat der Autor André Pönitz sich einen ganz besonderen Hintergrund ausgesucht: Die Totenwelt der Azteken. Auch wenn mangels einer leistungsfähigen Schrift vor der Landung der Europäer und angesichts der Zerstörungen der Bildercodices eine Menge Wissen über die Kultur der Azteken verloren gegangen ist, ist bekannt, dass sie wohl an eine Unterwelt in neun Ebenen glaubten, in die die Toten kamen. Um die Reise durch diese Unterwelt geht es in Los Muertos.
Die PDF ist 16 MB groß, für ein Dokument von 140 Seiten ist das nicht viel – die Pathfinder-Handbücher bringen ja mit 32 Seiten mehr als doppelt so viele Megabyte auf die Waage. Das liegt wahrscheinlich in erster Linie an den Illustrationen: Diese sind zwar sehr stimmungsvoll und passend, aber meist wie das gesamte Buch in Sepiatönen gehaltene "Schwarzweißzeichnungen“, die nur ganz vereinzelt mit ein paar anderen Farbtupfern versehen werden. Nur selten findet man wirklich farbige Bilder, meist sind es nur Details, die farbig hervorgehoben werden. Ich finde, zum Thema und auch zum sonstigen Äußeren des Buches passen die Illustrationen hervorragend.
In der PDF fehlt mir allerdings eines: Lesezeichen, um schnell bestimmte Kapitel aufsuchen zu können. Auch die Inhaltsangabe enthält keine Links zu den entsprechenden Kapiteln. Man muss sich mühsam durch das Buch blättern, wenn man bestimmte Sachen sucht.
Die Einleitung beschreibt die Grundsituation, in der die Charaktere sich befinden: sie sind tot. Was in vielen Rollenspielen das Ende bedeuten würde, ist hier aber der Beginn, denn vor den Toten (die als Skelette, aber mit den irdischen Besitztümern, die sie beim Tode bei sich hatten, unterwegs sind) liegt die erste Ebene der Totenwelt der Azteken, die Portallande. Und sie haben nur eine begrenzte Zeit, den Weg durch alle Ebenen zu finden bis hin zur neunten Ebene, denn sonst… Und so macht man sich auf den Weg, durch manchmal skurrile, manchmal obskure, manchmal auch ganz einfach gefährliche Situationen und Begegnungen die neunte Ebene zu finden.
Diese Welt lehnt sich an die Jernseitsvorstellungen der Azteken an, unterscheidet sich aber auch in einigen Punkten. So werden die Skelette meist bereits kurz nach ihrem Erscheinen in der Unterwelt von Xolotl begrüßt – der im aztekischen Glauben erst am Ziel auf die Toten wartete. Auch wurden die Xoloitzcuintle der Unterwelt durch Hunde mit Laternen ersetzt, die die Toten auch nur eine kurze Zeit begleiten. Die Begrenzung auf vier Jahre für die Toten und die Zahl der neun Ebenen hingegen entsprechen den mythologischen Tatsachen.
Anschließend wird das Spielsystem beschrieben, zunächst die Regeln, dann die Charaktererschaffung. Diese Reihenfolge funktioniert immer dann besonders gut, wenn die Regeln einfach und kurz sind – vor allem, wenn es nicht allzu viele Fertigkeiten und/oder Kampfregeln gibt, und man nicht allzu lange auf die Erklärung warten muss, wie die Werte zustande kommen.
Die Regeln für eine Probe sind schnell zusammengefasst: man hat einen Wert von eins bis ca. fünf, und zieht entsprechend viele Karten. Im Regelwerk wird von einem Skatspiel ausgegangen, auf Facebook haben die Herausgeber aber bereits überlegt, ob man nicht besser auf ein Pokerdeck umstellen will. Jede rote Karte ist ein Erfolg, jedes rote Ass zählt als zwei Erfolge. Und wenn nur schwarze Karten auftauchen, und eine davon auch noch ein Ass ist, gibt es einen Patzer. So kann man sowohl direkte Proben ablegen als auch 'gegen jemand anderen‘: wer mehr rote Karten zieht, gewinnt. Bei Gleichstand entscheiden die Umstände, wer einen Vorteil hat. Jeder Spieler hat dann noch ein paar Bonuspunkte (Schicksal), die er einsetzen kann, um jeweils eine Karte zusätzlich zu ziehen; diese Punkte regenerieren sich aber nur zwischen den Abenteuern.
Schaden nimmt man als Knochenbrüche – Hämatome machen bei einem blutleeren und fleischlosen Skelett auch wenig Sinn. Wenn man Knochenbrüche hat, sind die aber schon ziemlich gravierend. Zum einen kann man hiervon maximal drei haben, bei einem vierten verblasst der Tote (der endgültige Tod). Auch haben die Knochenbrüche natürlich Effekt auf Proben – mit nur einem funktionsfähigen Arm kann man schlecht klettern. Man sollte den gebrochenen Knochen aber mitnehmen: Wenn man ihn hat, heilt der Bruch beim nächsten Schlaf von selbst. Aber auch, wenn man den Knochen verlieren sollte oder auf der Flucht nicht mitnehmen konnte, gibt es Möglichkeiten, wieder komplett zu genesen.
Dann gibt es noch Die Kraft der Sonne. Wer diese besitzt, kann bestimmte, magisch erscheinende Effekte bewirken. Je nachdem, welchem Pfad der Tote folgt, kann dies Heilungsfähigkeiten betreffen, oder Illusionen, Hellsicht oder anderes. Aber bei weitem nicht jeder Tote hat diese Kraft.
Nach den Regeln folgt die Charaktererschaffung. Nach den Vorüberlegungen dazu, was für eine Person der Tote zu Lebzeiten gewesen war, verteilt man Werte von eins bis drei auf die Fähigkeiten. Es gibt sechs Fähigkeiten: Geistiges, Kämpfen, Körper, Sinne, Soziales und Wille. Ein normaler Toter darf zwei Dreien, zwei Zweien und zwei Einsen verteilen, ein Toter mit der Kraft der Sonne sowie ein verstorbenes Kind (das zum Ausgleich als Angelito Flügel hat, mit denen es kurze Strecken fliegen kann) erhält eine Drei weniger, dafür eine Zwei mehr. Hinzu kommen dann noch drei (Angelitos und Tote mit der Kraft der Sonne zwei) Spezialisierungen. Die Werte der Fähigkeit bestimmen, wie viele Karten für Proben gezogen werden, eine Spezialisierung gibt eine zusätzliche Karte, wenn die Spezialisierung zutrifft. Damit sind die Charaktere bereits fertig.
Es gibt im Anhang noch eine Charaktererstellung, die mehr an die klassische Methoden angepasst ist (ein Punktekaufsystem), mir persönlich gefällt die 'reguläre Methode' aber viel besser, nicht nur weil sie schneller geht.
Auch für das Steigern eines Charakters gibt es eine offizielle, ziemlich schwammig gefasste Regel (nach einem Abenteuer bespricht man, ob sich da eventuell etwas verbessert hat, wobei die letzte Stufe (die dritte für Kräfte der Sonne, die vierte für Fähigkeiten) 'deutlich länger vorbereitet' werden soll. Die 'rollenspielerfreundlichere' Regel ist wieder ein Punktekaufsystem, das darauf hinausläuft, dass nach etwa zwei Abenteuern eine Steigerung möglich ist und die 'letzte Stufe' doppelt so lange benötigt.
Nach drei Seiten Spielleitertipps sind mit insgesamt 32+6 Seiten die Regeln abgehandelt. Der Rest der knapp 140 Seiten besteht aus einer Beschreibung der neun Ebenen der Unterwelt einschließlich einer Menge Abenteuer, die die Toten auf dem Weg zur neunten Ebene erleben können. Im Aufbau erinnert das ein wenig an die 'Plot Point Kampagnen' von Savage Worlds, denn auch hier bieten die Beschreibungen der Ebenen genug Anknüpfungspunkte für eigene Abenteuer.
Das ganze spielt sich schnell und flüssig, und erlaubt sowohl humorvolles, Comedy-artiges Spiel als auch tiefenpsychologische Melodramen, auch wenn einige der Abenteuer auf uns ein wenig seltsam wirken und ihnen hierdurch eine Neigung zum Humor nicht abgesprochen werden kann. Durch die einfachen Regeln und die Präferenz für unbeschwerte, schnelle Abenteuer (und den wahrscheinlichen Humorfaktor) fällt Los Muertos eindeutig in die Kategorie der 'Beer&Pretzels‘-Rollenspiele.
Also: Ran an den Downloadknopf!
Hersteller | Prometheus |
Autor | André Pönitz |
Künstler | Timo Grubing und Volker Konrad |
Spieler | Rollenspiel |
Denken | Rollenspiel |
Glück | Rollenspiel |
Geschicklichkeit | Rollenspiel |
Preis | gratis (PDF) |
Nur zur Information: War gestern auf der Dreieich und Los Muertos hat es leider nicht in gedruckter Form geschafft. Dafür gibt es scheinbar leicht modifizierte Pläne für das System.
[…] Die Rezension ist inzwischen erschienen, da die Druckversion noch länger dauern wird und eine erweiterte Version sein […]
Hey, hier der Autor. Sorry für das Gerammel um die Veröffentlichung, das Buch ist jetzt endlich draußen und die pdf hat nebenbei auch noch eine kleine Überarbeitung erfahren. Ich wollte nur bescheid sagen, weil es so viel Hin und Her gab. Vielen Dank für die faire Rezi, ich verlinke sie die Tage noch auf unserer FB-Seite.
Andre