Realismus wird überbewertet

Flamebait

Rollenspieler behaupten von sich ja gerne, dass sie möglichst realistisch spielen wollen – was in sich bereits Unsinn ist, denn was an Magiern in Kleid Roben, orkischen Hackern mit Cyberdecks oder auch Weltraumreisen nach KD6 5KJ realistisch sein soll, erschließt sich mir nicht so ganz.

Dennoch wird beispielsweise FATE immer mit dem Argument bedacht, das System sei ja nun einmal sooo was von unrealistisch. Und das typische angeführte Beispiel ist folgendes:

Nehmen wir einmal an, ich will mich durch eine Lagerhalle an die Bösewichter anschleichen. Da sind sogar einige schöne, dunkle Stellen, in die ich mich quetschen könnte und den Aspekt ausnutzen – aber ich habe keine Fate-Punkte mehr. Das ist doch total unrealistisch, dass ich die Schatten dann nicht nutzen kann…

Man könnte natürlich damit argumentieren, dass der Charakter vielleicht inzwischen zu müde ist, um so etwas noch zu sehen, aber auch das versucht wieder 'realistisch' zu sein und ignoriert ein sehr wichtiges Detail…

FateFATE ist, wie alle Rollenspiele, nicht realistisch. Es versucht, wie alle Rollenspiele, eine idealisierte Vorstellung der Welt widerzuspiegeln, aber eben nicht unserer Welt.

Viele Rollenspiele haben den Anspruch, die Welt simulieren zu wollen und die Naturgesetze zu respektieren. Dass sie es nicht wirklich tun, stört den Spieler aber nicht, weil sie geschickt den Eindruck zu wecken wissen, dass sie es tun würden. FATE hingegen hat, ähnlich wie andere (meist als 'pulpig' beschriebene) Rollenspiele ein ganz anderes Ziel.

FATE will vor allem Romane und Actionfilme simulieren, nicht die Realität.

Das sollte man sich gut auf der Zunge zergehen lassen, denn das erklärt genau den oben genannten scheinbaren unlogischen Effekt.

Was ist bisher im Abenteuer geschehen? Der Charakter hat das Abenteuer mit seinem normalen Kontingent an Fatepunkten gestartet und diese genutzt, um sich die Probleme aus dem Weg zu räumen. Obendrein hat er (wahrscheinlich) alle Versuche, Aspekte zu reizen, abgewürgt, weil das nur zu Schwierigkeiten geführt hätte. Sprich: Bislang war der Charakter wahrscheinlich – zumindest verglichen mit den Charakteren, die zu diesem Zeitpunkt noch Fatepunkte haben – ein Teflon-Charakter, an dem alles abprallte. Oder, in Rollenspiel-Sprache: ein imba Überheld mit Munchkin-Tendenzen.

Wenn ich ein Buch lese oder einen Film sehe, interessiert mich so ein Held aber eher weniger. Wenn dem Helden alles leicht fällt, bleibt die Spannung auf der Strecke, und ich will gar nicht mehr wissen, was denn noch passieren könnte, denn der Held segelt doch durch alles durch ohne groß langsamer werden zu müssen. Viel interessanter ist ein Buch oder Film aber, wenn der Held Schwierigkeiten überkommen muss. James Bond wird gefangen genommen, Dirk Pitt verletzt, Modesty Blaise einer Gehirnwäsche unterzogen, Phileas Fogg läuft die Zeit davon und der Doctor schafft es nicht, die Daleks noch vor ihrem Entstehen auszulöschen, weil er eben nicht so gestrickt ist. Dass sie dennoch Erfolg haben, ist daher dann nicht eine Selbstverständlichkeit sondern ein Grund zum Jubel.

Man schickt bei D&D ja auch nicht 13.-stufige Helden in Abenteuer für Erststufler – einen einzelnen Gobbo abzuschlachten, ist für einen hochstufigen Hexenmeister kein großer Akt mehr.

Manch ein Rollenspieler aber will anscheinend genau diese Teflon-Überhelden spielen, wodurch man sich einen wichtigen Teil des Abenteuers beraubt: der Spannung, dass es ja dann doch schief gehen kann. Das zumindest sehe ich immer wieder aus Diskussionen auf Cons – besonders, wenn ich einmal bei anderen Runden kiebitze. Vor allem WoD, Shadowrun, D&D5 und Pathfinder scheinen solche Anwandlungen zu fördern. Aber auch andere Systeme sind nicht ausgenommen – ich habe sogar schon Spieler erlebt,  die klassisches Cthulhu (nicht "Hexer-Cthulhu“) so zu spielen versuchten. Solche Spielweise führt aber bei Fate nur dazu, dass man Fatepunkte vernichtet und keine neuen bekommt, und dann am Ende die Regeln der Abenteuerliteratur zurückschlagen – irgendwo muss es schwierig werden.

In den Worten des obigen Beispiels: Der Charakter hat bereits so viele Hindernisse problemlos überwunden, dass die Leser/Zuschauer einschlafen würden, wenn er jetzt schon wieder durch den Schatten allen Schwierigkeiten aus dem Weg ginge.

Mein Tipp: Lasst euch auf die Regeln, Tropen und Schwierigkeiten ein, nutzt sie – denn es ist auch ein Tropus, dass der Sieg um so süßer schmeckt, je schwerer er erkämpft wurde.

3 comments

  1. Tagschatten sagt:

    Hey, wenn Du schon "flamebait“ fett drüber schreibst, solltest Du auch halbwegs zeitnah die Kommentare checken, sonst wird da mit dem flamen nix. :D

  2. Tagschatten sagt:

    Faszinierend. Du moderierst gar nicht, der wurde sofort published? Und mein langer Kommentar von gestern ist also nicht in der Warteschlange, sondern… weg?

    Ahw drat!

    • roach sagt:

      Nein, ich moderiere nicht – bislang war es nicht nötig. Spam wird, wie ich vor längerer Zeit einmal hier erzählt habe, vom WordPress-Plugin Anti-Captcha abgefangen. Allerdings gibt es, verglichen mit damals, inzwischen deutlich mehr Spamversuche – es landen zur Zeit jeden Tag gut 300 Versuche im Spamfolder. Die ich dann zwar noch vor dem Löschen diagonal lese, aber da kann mir schon einmal ein Posting durchrutschen – deshalb nutze ich auch ausschließlich Anti-Captcha. Das sollte nur Spambots (und Nutzer von Anti-Captcha-Spammertools) heraushalten, durch die Methode, wie das Plug-in funktioniert, sehen 'legal' postende Menschen (die auch nicht ein anti-Captcha-Tool für Spammer nutzen) das Plug-in nicht einmal.

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