Cthulhu 7. Ed. Deutsch
Ja, ich weiß: Ich bin sicherlich kein völlig unabhängiger Rezensent für dieses System. Im Sinne einer "Full Disclosure“ sage ich gleich vorweg: Ich gehöre seit Jahren zum Supportteam von Pegasus für Cthulhu, und leite regelmäßig auf Cons Spielrunden. Aber zur Feier des Tages dachte ich mir, ich gönne mir einmal etwas – und bespreche daher eines meiner Lieblings-Rollenspielsysteme in der neuesten Ausgabe.
Die aktuelle, sogenannte 7. Ausgabe sorgt bereits durch den Namen für Verwirrung: Nach den ersten Ausgaben bei Hobby Products, Laurin und Ars Ludi erscheint das System seit 1999 bei Pegasus-Spiele, wobei die Editionen ursprünglich neu gezählt wurden – Pegasus hatte zuletzt die "3. Edition“. Auf diese folgte dann zur SPIEL die "7. Edition“ – wo sind die drei Zwischenversionen geblieben?
Die "3. Edition“ (deutsch) war allerdings eigentlich parallel zu sehen zur "6. Edition“ (englisch) – durch die mehrfachen Verlagswechsel war die Nummerierung in Deutschland nicht mehr parallel zur englischen in Amerika. Dies wird jetzt mit der neuen Version angeglichen, so dass man international nicht mehr nachdenken muss, über welche Version der Gesprächspartner spricht, wenn er von der 7. Edition spricht. Zur Verdeutlichung nutze ich die Abkürzung CoC7 für die englischsprachige Version, C7 für die deutsche.
C7 sollte eigentlich bereits 2014 zur Spiel erscheinen, dann wurde die RPC 2015 als mögliches Erscheinungsdatum angepeilt. All dieses lieferte aber Probleme auf, weil Chaosium in Probleme kam – und der Vertrag, den Pegasus mit Chaosium, hatte, eigentlich besagte, dass die deutsche Ausgabe erst erscheinen dürfe, wenn die englische gedruckte Version erschienen war. Die elektronische Version von CoC7 wurde bereits im November 2014 vertrieben, es gibt sie als PDF und als ePub.
Nachdem Ende Mai / Anfang Juni 2015 die 'Großen Alten' von Chaosium die Firma wieder übernahmen, wurde die Beschränkung aufgehoben. Pegasus – die bereits seit einiger Zeit die Übersetzung beinahe fertig hatten (mit Ausnahme von Lay-out und Druck) – brachten dann die deutsche Ausgabe (zuerst nur in gedruckter Form) heraus. Seit November sind aber auch PDF-Versionen der beiden Basisbände über den Pegasus-Shop bzw. DriveThru erhältlich.
Das Basis-Setting dürfte den meisten wohl bekannt sein: die Menschheit ist ein unwichtiger Fleck in der Geschichte, vor Jahrmillionen hausten kosmische Wesen hier, die uns vollkommen unverständlich sind. Immer wieder begegnen Menschen aber Resten der kosmischen Mächte, zum Beispiel Kulten, die sich einem dieser Wesen verschrieben haben. Diese Begegnungen führen oftmals in den Wahnsinn – im Rollenspiel geht es um die Reaktionen der Menschen auf die 'Wahrheit hinter der Welt'.
Das System ähnelt dem alten in großen Bereichen – ein Charakter („Investigator“) ist ein Satz von Eigenschaften und Fertigkeiten. Die Eigenschaften, die früher mit 3W6 ausgewürfelt wurden, sind jetzt wie auch die Fertigkeiten Prozentwerte. Zur Erschaffung kann man wie gehabt auswürfeln, es gibt aber auch Punktezuordnungsmechanismen für Spieler, die mehr Kontrolle haben wollen.
Die Fertigkeiten werden wie früher auch zu Spielbeginn mit Bonuspunkten angepasst – allerdings ist hierfür nicht mehr Bildung der allein seligmachende Wert: je nach gewähltem Beruf werden die Punkte zumindest teilweise auch aus der Stärke, der Geschicklichkeit oder anderen Eigenschaften abgeleitet. Insgesamt wird hiermit die unangebracht hohe Bedeutung der Bildung deutlich abgemildert.
Statt jede Probe einfach auf den normalen Wert würfeln zu lassen, gibt es jetzt mehrere Mechanismen, die die Schwierigkeit eines Wurfes abbilden können.
Zum einen kann man, wenn man ein Wurf nicht geschafft hat, eventuell versuchen, den Wurf zu 'forcieren'. Hierfür muss man einen Grund finden, der den neuen Wurf logisch erscheinen lässt – sollte der aber auch misslingen, passiert etwas wirklich unangenehm-schmerzhaftes. Statt beispielsweise einfach eine Mauer nicht überklettern zu können, fällt man dann eben von recht weit oben herunter und verletzt sich.
Eine zweite Möglichkeit ist die Option, Glückspunkte ausgeben zu können, um einen Wurf zu schaffen. Die Glückspunkte sind allerdings nur begrenzt, und manchmal muss man auch auf den Rest,. Den man noch hat, würfeln – zum Beispiel, um dem ansonsten sicheren Tod zu entgehen. Ob man daher Glückspunkte ausgeben will, um einen Wurf zu schaffen, ist fraglich; einen forcierten Wurf oder einen Wurf im Kampf kann man auch nicht noch zusätzlich mit Glückspunkten beeinflussen.
Schwieriger oder leichter machen kann der Spielleiter einen Wurf mit Bonus- bzw. Maluswürfeln – zum Beispiel, weil man von hinten angreift oder überrascht ist. Man wirft dann einen zusätzlichen "Zehnender“ im Prozentwurf, bei Bonuswürfeln gilt der niedrigste, bei Maluswürfeln der höchste. Alternativ kann ein Spielleiter auch einen schwierigen oder extremen Wurf verlangen – einen Wurf auf den halben bzw. ein Fünftel des Normalwertes. Diese Werte (normal, schwierig, extrem) stellen eine "Qualität“ dar, die auch bei vergleichenden Würfen die unhandliche Resistenztabelle ersetzt – es gewinnt, wer die höhere Qualität würfelt.
Besonders interessant wird dies im Kampf. Man kann nämlich auf einen Angriff mit Ausweichen oder Gegenschlag reagieren. Beim Gegenschlag würfelt man auf den entsprechenden Waffenwert, beim Ausweichen – eben auf Ausweichen. Aber das ist nicht der einzige Unterschied.
Ausweichen gelingt, wenn man mindestens die gleiche Qualität erreicht wie der Angreifer – dann gibt es keinen Schaden. Für einen Gegenschlag muss ich dahingegen eine bessere Qualität erreichen, um eigenen Schaden zu vermeiden, mache dann aber selber Schaden. Laut Regeln werden Monster immer gegenschlagen. Dies führt dazu, dass wesentlich häufiger Schaden erzielt wird als mit den 'klassischen' Schlag-Ausweichen-Reihen, die sich manchmal arg in die Länge ziehen können.
Mit dieser eher kleinen Änderung wird ein überraschend großer Effekt erzielt.
Ein Punkt, der in alten Versionen relativ ungünstig geregelt war (so sehr, dass viele Gruppen ihn verständlicherweise 'hausregelten‘, also durch eigene Hausregeln ersetzten), waren Verfolgungsjagden. Zum einen waren diese in früheren Versionen speziell für Verfolgungen mit Fahrzeugen gedacht, zum anderen waren sie sehr unhandlich und schwer umzusetzen.
Wer die neuen Regeln durchliest, wird auf den ersten Blick vermuten, dass die Situation verschlimmbessert wurde: der Umfang des Themas "Verfolgungsjagd“ wurde auf dem Papier beinahe verdoppelt. Leider wird dies dazu führen, dass manche Gruppe ihre "guten alten“ Hausregeln gleich beibehält, statt sich die neuen Regeln einmal durchzulesen und auszuprobieren. Und dabei entgeht den Leuten etwas meiner Meinung nach wirklich gutes.
Die neuen Verfolgungsregeln sind zum einen nicht nur für Fahrzeuge, sondern funktionieren grundsätzlich genauso (und ohne Anpassungen) für Fußgänger, Reiter, Schwimmer, Raumfahrer etc. Zum anderen wird ein Gutteil der neuen "Regeln“ gar nicht durch Regeln abgedeckt, sondern durch Beispiele. Auch wenn diese sich wieder in erster Linie auf Fahrzeuge beziehen, sieht man sofort, wie sie auf andere Fortbewegungsarten angewandt werden können. Und die eigentlichen Regeln erinnern mich stark an die von Savage Worlds, die sich ja auch nicht durch übermäßige Komplexität auszeichnen.
Beim Durchlesen fällt vielleicht auf, dass das Vorwort – auch verglichen mit dem Rest des Buches – relativ viele Teppfuhler enthält. Leider wurde das Vorwort vor dem Satz nicht mehr ausgiebig Korrektur gelesen – was gerade beim Vorwort doppelt ungünstig ist, weil das Vorwort für manche eine Art Visitenkarte des Buches ist. Schade, dass durch die kurze Produktionszeit zwischen Neustrukturierung von Chaosium und Erscheinen des Bandes auf der Spiel hier nicht die gewohnte Genauigkeit angewandt werden konnte.
Ein gemischtes Bild macht das Druckbild auch in anderen Bereichen. Nett ist, dass das Buch vollfarbig ist – jedes Kapitel hat ein schönes zweiseitiges 'Titelbild‘, besonders wichtige Absätze sind farbig abgesetzt, und so weiter.
Leider fallen sind die Bilder schon optisch in drei getrennte Gruppen: da sind zum einen die bei Pegasus gebräuchlichen historischen Fotos aus den '20er und '30 Jahren. Zum zweiten sind aber auch Fotos zu finden, die offensichtlich von Cthulhu-LARPs stammen – und damit meine ich vor allem, dass diese Offensichtlichkeit sich in der handwerklichen Qualität sowohl der Fotos als auch der Kostüme äußert. Und zum dritten gibt es eher pulpige Zeichnungen, die aus dem amerikanischen Originalmaterial stammen. Hier ist der Unterschied zum klassischen Cthulhu-Design von Pegasus eher unterschwellig: Monsterbilder mit kompletten Körpern auch von beispielsweise Großen Alten machen diese 'begreifbarer' und damit für in dieser Richtung veranlagte Spieler auch schneller zu Kanonenfutter.
Diese Illustrationsauswahl ist zum einen natürlich ebenfalls der Zeitnot geschuldet, die beim Erstellen des Bandes gegen Ende bemerkbar war – zum anderen waren die amerikanischen Zeichnungen aber auch recht preisgünstig zu haben, da sie auch in der amerikanischen Version zu finden sind. Und das wiederum dürfte mit ein Grund sein, dass die Bände günstig zu haben sind: Das "Grundregelwerk“ und das "Investigatoren-Kompendium“ haben nachgerade Kampfpreise.
Nur sollte man sich durch die Namen nicht verwirren lassen: bei der Übersetzung ins Deutsche ist hier ein klein wenig ungenau gearbeitet worden. Das "Grundregelwerk“ heißt im Original "Keeper Rulebook“, also "Regelwerk für den Spielleiter“. Und das sollte man ernst nehmen: im Regelwerk findet man eine ganze Menge Dinge, die ein Spieler eigentlich nicht zu wissen braucht / wissen sollte. Im Investigatoren-Kompendium stehen dahingegen einige Dinge wesentlich breiter ausgebreitet als im Grundregelwerk, die den Spieler eher interessieren als den Spielleiter. So findet man hier eine bessere Übersicht über das Leben in den '20er Jahren, ein paar Beispiele für Gesellschaften, die die Investigatoren unterstützen oder auch behindern können (die Janus-Gesellschaft lässt grüßen, wird hier aber leider nicht erwähnt), und vor allem eine wesentlich breitere Beschreibung und Auswahl an Professionen.
Die sind überhaupt besser gelungen als in alten Versionen: jede Profession hat nun acht Fertigkeiten, auf die man seine Bonuspunkte beim Start verteilen kann – früher waren das ja je nach Beruf von sechs bis zehn, elf. Aber für den Spieler noch besser ist die gute Beschreibung der Berufe, die verglichen mit der im Regelbuch deutlich ausführlicher ist.
Das einzige, was einem Spieler vielleicht im Kompendium fehlen dürfte, sind die Kampfregeln. (Und nein, die ausführlichen Regeln zur geistigen Stabilität oder gar die Beschreibungen der Zaubersprüche haben m.E. bei Cthulhu nichts in Spielerhand zu suchen…) Das kann man aber recht leicht ausgleichen: In den Schnellstartregeln von Pegasus steht alles, was es zu dem Thema zu wissen gibt und nicht im Kompendium steht. Alles in einem Buch wäre sicher schöner gewesen. Aber auch wer sich das Kompendium auf Papier holt, muss nicht unbedingt die Schnellstartregeln selber ausdrucken: Auf vielen Cons findet man Supporter von Pegasus, die meistens auch Schnellstartregeln dabei haben und diese gerne gratis aushändigen.
Auch wenn ich, wie eingangs gesagt, nicht unparteiisch bin: Mir gefallen die neuen Regeln gut, und ich werde auch in Zukunft gerne auf Cons cthuloiden Schrecken verbreiten. Und bei den Preisen der Grundregelbücher (und den ähnlich günstig geplanten Preisen für zukünftig geplante Produkte, wie im Pegasus-Forum hier und hier angekündigt) ist das System auch für den kleineren Geldbeutel zu finanzieren.
Hersteller | Pegasus Spiele |
Autor | Scott Dorward, Paul Fricker, Charlie Krank, Mike Mason; Badger McInees, Sandy Peterson, Keith Herber, Lynn Willis |
Künstler | diverse |
Spieler | RPG |
Denken | RPG |
Glück | RPG |
Geschicklichkeit | RPG |
Preis gedruckte Version | 19,95 € (Grundregelwerk für Spielleiter), 12,95 € (Investigatoren-Kompendium) |
Preis elektronische Version | 19,95 € (Grundregelwerk für Spielleiter), 12,95 € (Investigatoren-Kompendium) |
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