Drafting nach Kinderreim

Tinker Tailor

Tinker TailorHeutzutage – und außerhalb Großbritanniens und den USA – ist der alte Kinderreim vor allem in der Version bekannt, die John le Carré mit seinem Roman Tinker, Tailor, Soldier Spy (Deutsch: Dame, König, As, Spion) bekannt gemacht hat. Als traditioneller Abzählreim gibt es verschiedenste Fassungen, die älteste überlieferte Version, in der die vier originalen Berufe (Tinker, Tailor, Soldier Sailor) in einer Gruppe genannt wurden (wenn auch nicht in dieser Reihenfolge) stammt aus dem Jahre 1695.

Das Kartenspiel Tinker Tailor von Medusa Games nutzt eine verlängerte Reihe, die in den ersten acht Positionen der Version gleicht, die 1883 von William Wells Newell veröffentlicht wurde. Insgesamt ist die Liste in diesem Spiel aber noch wesentlich länger.

Rein äußerlich macht das Spiel nicht viel her – es dürfte auf der SPIEL (wo wir es erhalten haben) schon durch das Aussehen von vielen als uninteressant abgestempelt worden sein. Um es vorwegzunehmen: diese Reaktion stellt sich als sehr voreilig heraus.

In der Kartenschachtel (dicke sog. "Tuckbox", weiß mit relativ amateuristischen Illustrationen, die man auch auf den Karten wiederfindet) findet man:

  • die Spielregel auf Englisch
  • 17 Rollenkarten
  • 20 Geldkarten
  • 78 Warenkarten
  • 4 Piratenkarte
  • eine Reimkarte

Die Karten haben normale Spielkartenqualität. Die Personenkarten sind wie gesagt eher amateuristisch gezeichnet, die anderen kann man wohlwollend auch als schlicht-sachlich bezeichnen. Diesem Spiel hätte schöneres Artwork sehr gut getan.

Eine deutsche Version der Retgeln kann man bei Boardgamegeek herunterladen. Sie enthält auch gleich ein Erratum der englischen Regeln.

Jede der 17 Rollenkarten zeigt eine Person aus dem erweiterten Reim mit einer Spezialfähigkeit, die Geldkarten gehen im Wert von 1 bis 5, die Warenkarten kommen in 5 Warenarten (Brot, Fisch, Stoff, Wein und Edelsteine), sie zeigen neben der Warenart auch, wie viele Siegpunkte es für wie viele Waren der betreffenden Sorte gibt.

Drei bis sechs Spieler übernehmen Rollen aus dem erweiterten Reim und versuchen, in diesen Rollen möglichst gewinnbringende Waren oder Gelder einzusammeln. Hierzu werden die Karten zunächst nach Art sortiert und gemischt – die identischen Piratenkarten und die einzelne Reimkarte brauchen natürlich nicht gemischt zu werden.

Zunächst wird von den Waren- und Geldkarten eine Reihe ausgelegt / aufgefüllt, die so viele Karten umfasst, wie die Anzahl der Spieler plus zwei beträgt. Der Rest bleibt als Nachzugstapel daneben liegen.

Eine Runde besteht danach immer aus folgenden Schritten:

Zuerst nimmt der (jede Runde wechselnde) Startspieler die Rollenkarten, mischt sie und zieht – ebenfalls Anzahl der Spieler plus zwei – Rollenkarten. Von diesen sucht er sich eine aus und gibt den Rest nach links weiter. Der Spieler sucht sich ebenfalls eine aus und so weiter, bis zum letzten Spieler, der noch drei Karten zur Auswahl hat. Die letzten beiden Karten werden dann abgelegt.

Nun liest der Startspieler die Rollen von der Reimkarte vor. Wessen Rolle aufgerufen wird, unterbricht das Vorlesen, dreht seine Karte offen und hat darf agieren. Zuerst hat man eine Rollenaktion, im einzelnen:

  • Kesselflicker – darf Waren des niedrigsten Wertes in der Auslage an sich nehmen – beliebig viele, man darf also auch von drei Waren zwei nehmen
  • Schneider – darf sich eine beliebige einzelne Warenkarte vom Markt nehmen
  • Soldat – zieht zwei Geldkarten vom Nachzugstapel, behält eine und gibt eine an den Spieler mit den wenigsten Karten
  • Matrose – nimmt zwei nebeneinanderliegende Warenkarten – Achtung vor Piratenkarten
  • Reicher Mann – nimmt ein Exemplar der Geldkarte mit dem höchsten Wert in der Auslage
  • Armer Mann – nimmt sich beliebig viele der Geldkarten mit dem niedrigsten Wert aus der Auslage
  • Bettler – erhält eine Geldkarte mit einer Münze oder eine Brotkarte von jedem anderen Spieler – wobei der abgebende Spieler aussuchen darf, wenn er beides hat
  • Dieb – darf die Karten eines anderen Spielers durchsuchen und sich eine der Karten nehmen (Geld- oder Warenkarte)
  • Prediger – zieht die drei obersten Warenkarten vom Stapel, behält eine, wirft eine ab und gibt die letzte dem Bettler, wenn kein Bettler da ist, dem Armen Mann, wenn es auch den nicht gibt, einem Spieler, den er selber auswählt
  • Pirat – nimmt zwei beliebige Karten aus der Auslage und legt an ihre Stelle Piratenkarten – diese werden erst entfernt, wenn in der nächsten Runde der Pirat aufgerufen wird
  • Gesetzloser – nennt einen Spieler und eine Warenart. Wenn der genannte Spieler die Warenart hat, muss er dem Gesetzlosen eine dieser Karten geben
  • Kerkermeister – erhält von Pirat, Dieb und Outlaw, wenn sie dabei sind, je eine zufällige Warenkarte sowie die oberste Geldkarte vom Stapel
  • Alter Mann – erhält eine Geldkarte vom Stapel für je drei Handkarten, wobei aufgerundet wird
  • Junger Mann – erhält entweder die niedrigstwertige Geld- und die niedrigstwertige Warenkarte aus der Auslage oder eine beliebige Geld- oder Warenkarte aus der Auslage
  • Händler – nimmt sich alle Warenkarten einer einzelnen Art vom Markt
  • Hexe – nimmt (zufällig, aber s.u.) jedem anderen Spieler eine Karte weg, aus der eigenen Hand eine Karte und eine vom Markt. Hiervon nimmt sie sich zwei, jeder andere Spieler in Sitzreihenfolge wählt eine vom Rest
  • Schauspieler – darf eine beliebige Rolle, die in der Runde gespielt wurde, für sich übernehmen

Wichtig ist hierbei auch, dass man während der Drafting-Phase seine Handkarten versteckt halten darf, damit der Spieler, der sich gerade eine Karte aussuchen will, nicht beispielsweise den Soldaten nicht wählt, um einem bestimmten Spieler keine zusätzliche Handkarte zu geben…

Nachdem der Spieler die Rollenaktion ausgeführt hat, darf er mit seinem Geld Karten aus der (Rest-)Auslage kaufen, wobei er zwar aus der Geldauslage Wechselgeld nehmen darf, aber nicht aus dem Ablage- oder Nachzugstapel.

Nachdem alles getan ist, füllt man die Auslage(n) wieder auf, bevor die nächste Rolle aufgerufen wird. (Diese Regel ist in der englischen Version nicht ganz deutlich ausgeführt.) Die Rollenkarten werden dem nächsten Spieler gegeben, der sie wieder mischt und zieht…

Man spielt abhängig von der Anzahl der Spieler 12 (bei drei Spielern) bis sechs (bei sechs Spielern) Durchgänge durch den Reim, danach wird abgerechnet.

Jeder Spieler erhält Warenpunkte. Für Gruppen gleicher Waren gibt es, abhängig von der Anzahl, Punkte – bis maximal acht Waren. Mehr Waren der gleichen Art liefern zwar keine Punkte mehr, sichern aber evtl. während des Spiels gegen Diebe ab.

Außerdem gibt es für jede Gruppe aller fünf Warenarten zehn Punkte – eine Warenkarte kann sowohl in einer Warenart-Gruppe als auch in einer "Quergruppe" verwendet werden. Für Geldkarten gibt es den halben Münzwert an Punkten.

Es gewinnt, wer die meisten Punkte hat. Bei Gleichstand entscheidet die Anzahl der Edelsteine, dann der Stoffkarten etc.

Das Spiel ist eine sehr interessante Mischung aus Drafting- und Sammelmechanismus, das sich viel interessanter spielt als die Verpackung vermuten lässt. Ein paar Dinge wirken ein wenig unglücklich gewählt – die Hexe sorgt für ein gefühlt zu großes Chaos. Manche Rollen lohnen sich eher spät in einer Partie, vor allem Bettler, Dieb, Gesetzloser und Alter Mann. Wer eine Rolle wählt, die spät in einer Runde an der Reihe drankommt, kann nur schlecht planen, weil in der Zwischenzeit eine Menge Veränderungen in der Auslage geschehen werden. Und man wird sich erst einmal die Interaktionen mancher Rollen vergegenwärtigen müssen, bevor man das Spiel wirklich schätzen kann.

So dauern die Runden gerade bei der ersten, zweiten Partie eher länger; wenn man erst einmal die Rollen kapiert hat, geht es schneller. Dennoch kann ein Spieler mit Analyseparalyse gerade in der Drafting-Phase und beim Kaufen schnelleren Spielern gehörig auf die Nerven gehen.

Alles in allem ist Tinker Tailor aber ein sehr nettes Spiel, bei dem eine Partie bei uns etwa eine dreiviertel Stunde dauert. Ideal also sowohl für Viel- wie Gelegenheitsspieler, wenn auch weniger für gemischte Runden. Es bleibt dem Spiel zu wünschen, dass es mit einem neuen Design noch einmal aufgelegt wird, denn es hat wirklich verdient, dass mehr Spieler es sich ansehen.

Hersteller Medusa Games
Autor Richard Denning
Künstler Lindsey Harrison
Spieler 3-6
Denken 8
Glück 6
Geschicklichkeit 0
Preis ca. 10 GBP im Webshop des Verlages

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