Retrostar
Spectrum Games ist ein Verlag, der sich anscheinend spezialisiert hat auf Rollenspiele, die verschiedenste Genres emulieren sollen, mit besonderem Augenmerk darauf, wie sich diese Genres in den 70er Jahren darstellten. So versucht die Cartoon Action Hour die Actioncartoons der 70er Jahre zu emulieren, Capes; Cowls and Villains Fowl Superhelden-Comics und Slasher Flick eben Filme wie Freitag der 13., Halloween, Prom Night oder auch Chucky.
Mit dem im Dezember erschienenen Retrostar will Spectrum Games ein Regelwerk anbieten, das speziell die Science-Fiction-Serien der 70er Jahre emuliert. Serien wie U.F.O., Mondbasis Alpha Eins (Space:1999), Star Blazers, Buck Rogers oder auch Logan’s Run (die Serie) waren explizit Science Fiction, aber in den 70er Jahren fristete SF noch ein relatives Nischenleben, und manche SF-Serien wurden zumindest hierzulande gar nicht erst als solche etikettiert, wie zum Beispiel der 6-Millionen-Dollar-Mann, der Mann von Atlantis oder sogar Mork vom Ork. Den Charme all dieser Serien will Retrostar einfangen. Es geht also nicht um alle SF-Serien – Voyager oder Torchwood ließen sich zwar sicherlich auch hiermit emulieren, haben aber ein ganz anderes Flair.
Das Regelwerk ist bislang nur als PDF bei DriveThru erhältlich. Andere Regelwerke von Spectrum Games kann man auch in gedruckter Form bei Lulu erwerben. Weshalb das bei diesem Regelwerk noch nicht geht? Ich weiß es nicht sicher, vermute aber, dass ich nach dem ersten Blick in das Regelwerk bereits den (oder zumindest einen wichtigen) Grund entdeckt habe. Auf Seite 5 soll nämlich ein Vorwort von Richard Hatch (Cpt. Apollo im originalen Kapfstern Galactica, Tom Zarek in der Neuauflage von 2004) stehen. Aus "persönlichen Gründen" ist dieses Vorwort noch nicht fertig geworden und soll, sobald es verfügbar ist, in die Dateien eingefügt werden. Da bei DriveThru Updates einfach durchgeführt werden können – ein Käufer einer PDF-Datei kann sich jederzeit die aktuellste Version herunterladen -, dies ist bei "Totbaumprodukten" schon aus rein technischen Gründen sehr schwierig.
Das Regelwerk misst knapp 30 MB, bei 133 Seiten. Das Lay-out und die Bebilderung passen hervorragend zum Thema – in der Gruppe meinte ein Spieler, er fühle sich an Funky Colts erinnert, was das Äußere angeht. Der 70er-Jahre-Flair wird sogar in den kleinsten Details verwirklicht, so haben die Seiten Ränder in Form einer dreifarbigen Linie – gelb/orange/braun -, die mich an Filme aus der Zeit erinnert, ohne dass sie eine bestimmte Serie referenzieren. Auf dem Titelbild sind zwei typische 70er-Jahre-Helden zu sehen – der männliche mit einem Tom-Selleck-Schnauzbart. Rein optisch macht das ganze also schon einen hervorragenden Eindruck.
Der Aufbau des Regelwerkes weicht mit gutem Grund ein wenig ab vom normalen Aufbau eines Regelwerkes – wenn man einen Charakter für eine SF-Serie erstellen will, hilft es, zu wissen, worum es in der Serie gehen soll und welche Aufgaben auf einen warten.
Zunächst einmal gibt es aber die üblichen Einleitungsseiten – worum geht es bei Retrostar, was ist ein Rollenspiel, was sind die typischen Versatzstücke, die man in einer SF-Serie der '70er Jahre findet? Abgeschlossen wird der Teil mit einer Lese… äh… Ansehliste, welche Fernsehserien den Stil der '70er Jahre besonders gut transportieren. Auch werden die Serien auf ihre "Dials" untersucht, um die es im nächsten Kapitel noch eingehender geht. Grundsätzlich gut recherchiert, aber als Whovian muss ich anmerken: die TARDIS sieht nicht aus wie eine Telefonzelle (die waren nämlich in der Zeit rot), sondern ist eine "Police Booth", sozusagen ein Mini-Gefängnis, in der Leute auf den Abtransport warten konnten, mit einem Telefon an der Außenseite, mit der Polizisten Meldungen machen konnten.
Im nächsten Kapitel geht es zunächst darum, eine eigene Fernsehserie als "Spielwelt" zu entwerfen. Wie eine echte Fernsehserie gibt es auch zu den selbstentworfenen Welten Übersichten, die man sich erst einmal erstellen sollte (wenn man nicht eines der vorgeschlagenen Seriensetups verwendet, die jede eine fiktionale SF-Serie beschreiben. Mit einer Hintergrundgeschichte und Zusammenfassung wird zunächst eine erzählerische Basis gebildet, bevor man an die Einstellknöpfe geht. Mit Werten (von 1-6) für Thema (Einfluss politischer, sozialer und persönlicher Probleme), Plot (Einzelepisoden oder überkuppelnde Geschichte?), Wiederkehr (Plotpunkte, die in fast jeder Folge wieder auftauchen), Cheese (Mode und Kultur der 70er) und SFX (das Budget, das der Serie für Spezialeffekte zur Verfügung steht) sowie jeweils einigen Punkte, die diese näher erläutern, wird eine Serie schon recht gut beschrieben. So könnte unter "Wiederkehr" in einer Weltraumsaga beispielsweise Weltraumschlachten auftauchen, in einer postapokalyptischen Serie hingegen Rollerderbys (da Muskelkraft die einzige noch verfügbare Kraftquelle für Fortbewegungsmittel ist).
Wie gesagt hat jedes Einstellrad einen Wert von 1 bis 6, wobei diese Zahl andeutet, wie häufig etwas vorkommen soll: Beim Erstellen eines Abenteuers (einer Folge der Serie) würfelt der Spielleiter ("Showrunner") für jedes Einstellrad mit einem sechsseitigen Würfel, wenn er kleiner oder gleich würfelt, soll das entsprechende Einstellrad getriggert werden.
Nachdem noch einige Details (wichtige, wiederkehrende NPC beispielsweise) festgelegt wurden, sollte der Showrunner auch die grundsätzlichen Rollen der Charaktere festlegen – damit die Charaktere auch wirklich in das Setting passen. Dies bedeutet zwar, dass je nach Serie auch bestimmten Charakteren bestimmte SFX uzgewiesxen werden können (oder ihnen eine Auswahl möglicher SFX angeboten werden kann), aber die eigentliche Charaktererschaffung folgt erst anschließend, zusammen mit den Spielern.
Die Spieler verteilen zunächst untereinander die Rollen (Pilot, Gunner, Wissenschaftler / Arzt, Koch…) und beschreiben dann, mit welchem Schauspieler die Rolle besetzt wird. Hierbei reicht es, einen Typus des Schauspielers anzugeben (Titelblattfigur eines Teenie-Magazins, Veteran des Kinos, evtl. auch sein Aussehen), einen Namen des Schauspielers braucht man nicht unbedingt.
Diese Dinge sollte man auch schriftlich festlegen (mit einem knappen Busget an Worten), weil es Boni gibt, wenn die Kamera / der Plot auf eine dieser Äußerlichkeiten gerichtet wird.
Anschließend erhält jeder Charakter (also die Figur in der Serie) drei "Traits": Adventure, Thought und Drama – oder Körperlich, Geistig und Sozial, wie meine Testrunde es nannte.
Auf diese drei Werte verteilt man +1, 0 und -1, und darf anschließend einen der drei Werte noch einmal um eins erhöhen. Eine 0 bezeichnet hierbei einen Charakter, der in der Eigenschaft durchschnittlich ist, eine 1 bezeichnet ein Talent, 2 Meisterschaft. Zu jeder Eigenschaft, die nicht 0 ist, gehört dann noch eine Kurzbeschreibung (zum Beispiel begriffsstutzig oder dumm für Geistig -1 oder Raumkampfpilot oder Archäologe für Körper +2…) Diese Beschreibungen besagen, dass die Kamera besonders auf Szenen gerichtet wird, in denen die Beschreibung wichtig ist, was im Abenteuer zu Würfelbponi führt auch bei -1!
Außerdem, aber das wird erst im Laufe einer Serie entwickelt, kann ein Charakter auch Dials haben, in den Bereichen Thema, Plot, Wiederkehr (z.B. ein Satz, den der Charakter immer wieder verwendet) und Cheese.
Im nächsten Kapitel – dem eigentlichen Regelkapitel – erfährt man dann, wie das ganze mit dem Setting interagiert. Eine Serienfolge wird aus fünf Akten zusammengesetzt, die jeweils 12 Minuten Bildschirmzeit abdecken sollen. Jeder Akt wiederum ist ein wichtiger Teil der Folge, und sollte 12 "Intentionen" beinhalten – eine Intentgion ist, wenn ein Spieler eine Absicht ankündigt ("Ich will durch den Hangar zu meinem Raumschiff sprinten und dabei Haken schlagen, damit die Söldnet mich nicht treffen) und dafür würfelt. Durch die geringe Zahl Intentionen pro Akt sind Spieler wie Spielleiter gezwungen, mit einem Wurf mehr als nur eine einzelne Handlung abzuhandeln (ich schlage einen Haken nach links – ich renne vorwärts – ich schlage einen Haken nach rechts – ich klettere die Leiter hoch – ich lasse mich in den Pilotensessel fallen…).Um die Zahl der Intentionen zu kontrollieren, sollte der Spielleiter einen W12 nutzen, der die Aktionen hochzählt – auch, damit Spieler wie Spielleiter sehen können, wie weit man in dem entsprechenden Akt ist.
Um eine Intention abzuhandeln wird, nachdem festgelegt wurde, was eigentlich erreicht werden soll, mit zwei Würfeln gewürfelt, je höher je besser. Oder so ähnlich. Ausgehend von der Basis-2 wird die Anzahl noch modifiziert, zum Beispiel mit der Eigenschaft, die verwendet wird, Hindernisse und positive Umstände etc. Wenn der Gesamtmodifikator beispielsweise +2 beträgt, wirft man zwei Würfel mehr und nimmt dann die höchsten Werte, wenn der Modifikator negativ ist, wirft man ebenfalls so viele Würfel mehr, muss aber die beiden niedrigsten Ergebnisse nehmen. Ein Ergebnis bvis 6 ist ein Versagen, 7-9 lässt einen entweder Erfolg haben und aus der Szene ausscheiden (inaktiv werden) oder versagen und in der Szene bleiben, 10 und mehr bedeutet, dass man vollen Erfolg hat.
Spezialeffekte sind ein besonderer Fall, denn sie kosten natürlich in der Produktion. Deshalb hat jeder Spieler und der Showrunner eine bestimmte Menge SFX-Punkte, die man einsetzen kann, um Spezialeffekte einzusetzen. Auch diese können die Würfel bei einer Intention verändern, oder besondere Aktionen überhaupt erst ermöglichen. Mit den SFX-Punkten finanziert man die Effekte – wenn das eigene Budget verbraucht sit, hat man eben ein Problem – es sei denn, ein Mitspieler ist willens, einem aus dem eigenen Budget Punkte zu spendieren.
Einer der wichtigsten Effekte, die dies hat, ist, dass man seine Effekt nicht unbedingt immer einsetzen will. Wer in D&D ein magisches Schwert +6 erhält, wird es einsetzen wollen – in jedem Kampf, bei jedem Schlag. Fernsehserien der '70er Jahre funktionierten aber nicht so, auch wenn der Charakter das coole Schwert hatte, wurde es meist eben nicht eingesetzt . Weil es nicht notwendig war. Genau das wird mit den SFX-Punkten erreicht.
Ein besonderer Mechanismus sind die "Spotlight Tokens" – ein Pool an Markern, mit denen ein Spieler seinem Charakter ein besonderes Spotlight geben kann, das auf dem Schauspieler, der Rolle, den Beschreibungen etc. beruht und dann einen Bonus von zwei Würfeln gibt. Aber: Da diese aus einem gemeinsamen Pool kommen, müssen alle Spieler dieser Nutzung zustimmen…
Im folgenden Kapitel werden Tipps gegeben, wie man eine Episode regelt – sowohl was das Pacing angeht als auch, was das Publikumsinteresse (ein wichtiger Punkt bei einer Fernsehserie) betrifft. Es wird besprochen, wie man mit Versagen umgeht (Stichwort Fail Forward – aus dem Versagen ergeben sich neue Plotpunkte für kommende Episoden und Szenen) und eine ganze Reihe weiterer Tipps gegeben, die speziell für das Feeling einer Fernsehserie bedeutsam sind.
Im Anschluss gibt es eine ganze Reihe von Beispiels-Serien, die man als Instant-Settings ("Just add water") nutzen kann, und ein Beispielsakt, mit Erläuterungen aus Spielleitersicht, wieso welche Entscheidungen getroffen wurden. Gerade dieser Beispielsakt zeigt sehr gut, wie das Spiel vom Autor gedacht ist – das Pacing mit dem Intentionszähler und die Möglichkeiten, wie man mit beinahe-Erfolgen umgehen kann (ähnlich der Option „Erfolg mit Haken“ bei Fate…) können ansonsten leicht zu Verwirrung führen.
Auch das folgende Kapitel, das die Philosophie hinter dem System (dasTeile von anderen Systemen nutzt – das Intentions-System beispielsweise erinnert an das System von Apocalypse…) und allgemeine Tipps zur Struktur und zum Leiten eines Abenteuers erläutert, richtet sich explizit an den Spielleiter.
Zum, Abschluss gibt es noch ein paar BlinddärmeAnhänge. Appendix 1 gibt dem Spielleiter weitere Details zu den einzelnen Settings, die als Serien weiter vorne vorgeschlagen werden – mögliche Plots für Episoden, Charakteranmerkungen etc. Und in Appendix 2 gibt es eine Reihe von Bögen zum Ausdrucken: Charakterbogen, Serienbibel und eine Schnellübersicht für die Spieler.
Alles in allem macht Restrostar sich die Mühe, die Regeln und Optionen wo weit wie möglich an das Vorbild – SF-Fernsehserien der '70er Jahre – anzupassen. Das gelingt sogar ausnehmend gut, wenn sich Dspielleiter/Showrunner und Spieler/Stars auf ein paar ungewöhnliche Mechanismen einlassen können, wie die Begrenzung auf 12 Intentionen pro Akt, 60 pro Episode.
Die Regeln erfordern natürlich einiges Handwedeln, sind aber andererseits crunchy genug, dass jemand, der nicht unbedingt Kämpfe mit Miniaturen auf einem Blatt Millimeterpapier nachstellen will, damit keine Probleme haben sollte. Der Crunch-Anteil liegt etwa auf halbem Wege zwischen Savage Worlds und Fate.
Wenn jemand ein System sucht, mit dem der Flair der SF der 70er Jahre abgebildet wird, wird er hier fündig. Sicher, man könnte ihn auch mit anderen Systemen abbilden, aber zum einen müsste man entsprechende Regelmechanismen zufügen, zum anderen bietet Retrostar auch gleich ein Handbuch, auf welche Details man besonders achten muss, um das Ziel zu erreichen. Damit ist es für den genannten Zweck ausnehmend gut geeignet.
Neben einem PWYW-Schnellstart-Regelwerk mit einem weiteren Setting (Rogun, Rollerskating in einer postapokalyptischen Welt) und eine gratis Weihnachtsepisode für diese Serie gibt es bei DriveThru auch Far Away Galaxies, das die Ideen hinter Retrostar nutzt, um einen Kinofilm zu steuern.
Hersteller | Spectrum Games | |
Autor | Barak Blackburn | |
Künstler | Brent Sprecher | |
Spieler | RPG | |
Denken | RPG | |
Glück | RPG | |
Geschicklichkeit | RPG | |
Preis ca. | 8,16 € (Regelbuch, PDF), 3,58 (Far-Away Galaxies, PDF), |
Retrostar-Regelwerk (PDF) bei DriveThru
Retrostar-Quickstarter bei DriveThru
Rogun Holiday Special bei DriveThru
Now Playing in Theatres: Far-Away Galaxies bei DriveThru
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