Studie in Schmerz

Les Poilus

Les POilusAm Sonntag dem 2. August 1914 begann die – am Tage vorher verkündete – Generalmobilmachung für den Ersten Weltkrieg in Deutschland und Frankreich, nur einen Tag, bevor Deutschland Frankreich den Krieg erklärte. Der Krieg, von dem damals gehofft wurde, es sei "der Krieg, der alle Kriege beendet", stellt historisch betrachtet die Schwelle vom 19. ins 20. Jahrhundert dar – Oktoberrevolution, Auflösung von Österreich-Ungarn und des Osmanischen Reiches, Fall des Kaiserreiches, Oktoberrevolution … die Liste der einschneidenden Ereignisse, die durch den Krig hervorgerufen wurde, ist lang.

Die Entwicklung neuer Waffentypen – Giftgas, Tanks, Luftwaffe etc. – half dabei, das romantisch-verklärte Bild, das in weiten Bevölkerungsschichten vom Soldatenwesen bestand, zu entzaubern. Genau dieses entzauberte Bild, die Schrecken des Grabenkriegs für den einfachen Soldaten, der Kampf ums eigenen Überleben sind das Thema von Les Poilus, das auch auf Englisch als The Grizzled verkauft wird. Uns lag eine teilweise eingedeutschte Version vor.

In einer überraschend kleinen Sachachtel steckt

  • zwei Kartendecks bestehend aus jeweils 6 Soldatenkarten, 59 Herausforderungskarten, eine Ehrenmal- und eine Friedenskarte
  • 16 Rückhaltmarker
  • 5 Ansprachemarker
  • ein Marker Missionschef
  • eine Karte mit Spickzettel
  • die Spielregel

Die Spielregel soll inzwischen auch auf Deutsch verfügbar sein – zur SPIEL war sie noch nicht fertig, und es wurde die rein französische Erstauflage mit einem zusätzlichen Kartendeck mit deutschen Karten verkauft. Allerdings hätte es auch ein wesentlich kleinerer Kartensatz getan: es sind nur ein paar wenige Herausforderungskarten, die sprachabhängig sind, die anderen sind in der französischen und deutschen Version identisch.

Die Marker stecken in Stanzbögen, aus denen sie gut herausgedrückt werden können. Die Karten sind dick und stabil, die Zeichnungen sind stimmungsvoll. Auf die Details wurde geachtet: Beispielsweise ist die Rückseite des Rückhaltmarkers (Unterstützungsmarker) eine Tasse Kaffee in einer Blechtasse – das trifft die gegenseitige Unterstützung in den Schützengräben hervorragend. Der Misschionschef-Marker ist ein aus zwei teilen bestehender Aufsteller – ein einfacher Marker hätte wohl auch ausgereicht.

Zu Spielbeginn erhält jeder Spieler eine Soldatenkarte. Diese zeigt auf der einen Seite einen Soldaten, auf der anderen Seite den gleichen Soldaten plus einen Glücksbringer. Die Namen der Soldaten sollen alle aus einem einzelnen französischen Dorf kommen – mit Ausnahme eines Soldaten, Lazare Bonticeli: der letzte überlebende Veteran des ersten Weltkriegs mit französischer Staatsbürgerschaft hieß Lazare Ponticelli – zur Zeit des Weltkrieges war er allerdings noch Italiener und diente in der italienischen Armee. Zusätzlich erhält jeder Spieler zu Spielbeginn drei "Rückhaltmarker" – für die die Spieler aber schnell den passenderen Namen "Unterstützungsmarker" entwickelten. Die Marker zeigen entweder einen oder zwei Sitzplätze nach rechts oder links – man erhält einen Marker für den rechten Nachbarn, einen für den linken, und einen, der aus den übriggebliebenen zufällig zugewiesen wird.

Die Herausforderungskarten werden gemischt, 25 davon kommen als Herausforderungsstapel auf die Friedenskarte, der Rest als Moralreserve auf die Denkmalskarte. Der Missiondchef-Marker wird dem Startspieler (Startspieler-Witz: Der haarigste Spieler) gegeben. Je nach Spieleranzahl wird eine bestimmte Anzahl Ansprachemarker bereitgelegt.

Das Spiel verläuft in Missionen, in denen die Spieler versuchen, sukzessive den Herausforderungsstapel zu leeren und die Friedenskarte freizulegen. Eine Mission besteht aus jeweils vier Schritten.

Zunächst überlegt der Missionschef, wie viele Risiken er nehmen will und wählt eine Schwierigkeit. Diese besagt, wie viele Herausforderungskarten jeder Spieler erhält. Diese werden vom Herausforderungsstapel an die Spieler verteilt, je eine Karte pro Spieler – und da er mit gutem Beispiel vorangehen muss, erhält der Missionschef die erste dieser Karten. Die Schwierigkeit einer Mission muss immer mindestens 1 betragen, für die allererste Mission gilt sogar eine Schwierigkeit von 3. Sollten die Herausforderungskarten im Herausforderungsstapel nicht ausreichen, werden keine weiteren Karten vom Moralstapel verteilt – das Spiel ist allerdings noch nicht gewonnen.

Im zweiten Schritt – der Mission – versuchen die Spieler, ihre Handkarten so weit möglich los zu werden. Beginnend mit dem Missionschef hat jeder Spieler reihum die Möglichkeit, jeweils eine Aktion auszuführenb bis die Mission entweder versiebt wurde oder alle Spieler sich zurückgezogen haben.

Was kann man tun, wenn man am Zug ist? Man kann eine Herausforderungskarte ausspielen. Wenn dies eine normale Herausforderung ist, kommt diese in die Tischmitte, ins "Niemandsland", eine Karte mit Text (ein "schwerer Schlag") wird vor dem Spieler abgelegt und hat besondere Effekte. Diese Karten tragen in der Regel Symbole für Gefahren (Gasmaske, Gewehrkugel, Trillerpfeife, Schneewetter, Regenwetter, Nacht), und eine Mission gilt als versiebt, sobald eines dieser Gefahrensymbole dreimal auftaucht – wobei das Niemandsland und die harten Schläge zusammengezählt werden.

Leider zeigen einige Karten ein Fallensymbol – in diesem Fall muss man, nachdem man die Karte ausgespielt hat, noch die oberste Karte des Herausforderungsstapels ziehen und sofort ausspielen. Dies kann später in der Runde recht gefährlich sein. Wenn die neue Karte wieder eine Fallenkarte ist, hat man Glück: diese Falle wird nicht zusätzlich ausgelöst.

Man kann auch seinen Glücksbringer einsetzen – man dreht den Soldaten auf die andere Seite (ohne den Glücksbringer)und darf eine Karte mit dem gleichen Gefahrensymbol wie auf der Karte des Soldaten aus dem Niemandsland auf den Abwurfstapel entfernen.

Man kann eine Rede halten, wenn man einen Ansprachen-Marker besitzt. Hiermit stählt man seine Mitspieler gegen eine der Gefahren – alle Spieler außer dem, der die Rede hältdürfen alle Handkarten mit einem bestimmten Symbol, das der Redner wählen darf, abwerfen.

Schließlich darf man sich auch aus der Mission zurückziehen, wenn man nichts sinnvolles tun kann oder will (um eine Rede beispielsweise erst in der nächsten Mission spielen zu können). Man legt einen der eigenen Rückhaltmarker vor sich ab, der anzeigt, welchen Mitsoldaten man unterstützen will.

Wenn sich alle Spieler aus der Mission zurückgezogen haben, gilt diese als bestanden – die Karten im Niemandsland kommen auf den Ablagestapel. Wenn aber ein Gefahrensymbol dreimal auftaucht, werden alle Karten des Niemandslandes wieder in den Herausforderungsstapel gemischt.

Im dritten Schritt wird die Unterstützung ausgewertet. Alle Spieler, die sich zurückgezogen haben, drehen ihre Rückhaltmarker um. Die Marker gehen jeweils an den Spieler, der durch den Marker gekennzeichnet wird. Wenn jetzt ein einzelner Spieler mehr Rückhaltmarker erhält als jeder andere Spieler, erhält er einen Bonus. Was, das hängt davon ab, ob die Mission gelungen ist. Wenn nein, darf er einen einzelnen harten Schlag abwerfen, wenn ja, darf er entweder zwei harte Schläge abwerfen oder seinen Glücksbringen neu aufladen.

Wenn ein Spieler nach der Unterstützungsphase immer noch vier oder mehr Markierungen "schwerer Schlag" (eine dieser Karten hat gleich zwei Markerungen) vor sich liegen hat, verlieren die Spieler. Wenn aber jetzt alle Karten auf dem Herausforderungsstapel abgearbeitet sind und alle Spieler ihre Hände geleert haben, haben sie gewonnen.

Wenn beides nicht der Fall ist, kommt es im vierten Schritt zum Moralverlust: es werden so viele Karten vom Moralstapel auf den Herausforderungsstapel wie Spieler noch Handkarten besitzen, mindestens aber drei Karten. Wenn hierdurch das Ehrenmal freigelegt wird, verlieren die Spieler sofort das Spiel. Ansonsten wird der Missionschef-Marker weitergegeben und der alte Missionschef erhält einen Ansprachemarker.

Es gibt noch Regeln für AGAnauten (man darf Fallen ignorieren) und Veteranen (Herausforderungsstapel beginnt mit 30 Herausforderungen), die das Spiel entsprechend etwas leichter bzw. schwieriger machen.

Man darf, obwohl es ein kooperatives Spiel istm, nur sehr eingeschränkt miteinander kommunizieren – so ist beispielsweise der Handinhalt tabu. Hierdurch wird manche Aktion schwierig – schon so manche schöne Ansprache war komplett erfolglos, weil keiner der Spieler entsprechende Gefahrenkarten besaß.

Auch der Einsatz der Unterstützungsmarker will gut überlegt sein – zum einen, weil man sie nicht zurück erhält, zum anderen, weil bei vier oder fünf Spielern leicht ein Patt entsteht. Und dann werden nur die Marker abgegeben, aber der Bonus wird nicht aktiv.

Dennoch kann man so manche Absprache treffen, wenn man sich auf die Beschränkungen einlässt. Und das ist auch notwendig: das Spiel ist alles andere als leicht zu gewinnen. Schon in der Anfängerversion (von mir oben ‚AGAnauten‘ genannt) ist die Wahrscheinlichkeit, es nicht zu schaffen, ziemlich hoch.

Eine Besonderheit des Spiels ist es auch, dass jede Karte, die man ausspielen kann (mit einer einzigen Ausnahme – Weihnachten), negativ ist und das Spiel für die Mitspieler schwieriger macht. Besonders gemein ist die (glücklicherweise nur einmal vorhandene) Karte, auf der alle sechs Gefahrensymbole zu sehen sind.

Manche Gelegenheitsspieler zeigten leichte Frustrationszeichen, die sicherlich auch eben darauf zurückzuführen waren, dass sie mit den meisten Karten die Situation nur verschlechtern konnten. Diese Frustration kann auch dazu führen, dass Spieler Ansprachen nutzen, obwohl die Mitspieler nur noch ein, zwei Karten auf der Hand haben – ein Zeitpunkt, zu dem man sich besser zurückziehen sollte, da der Herausforderungsstapel sowieso nicht mehr stark wächst und die Chance, ein Gefahrensymbol zu erwischen, das niemand mehr auf der Hand hat, riesig wird.

Durch den großen Frustfaktor ist das Spiel tendenziell eher für Vielspieler geeignet; diesen könnte allerdings der Glücksfaktor missfallen. Bei einem kooperativen Spiel wie diesem ist ein Glücksfaktor allerdings notwendig, damit man nicht eine ideale Lösung finden kann.

Les Poilus versucht mit diesem Frustfaktor allerdings auch, die Stimmung der Soldaten im Krieg zu transportieren. In meiner Testrunde habe ich keinen Veteranen eines Krieges, so das´s ich nicht sicher sagen kann, ob dieser Transport korrekt stattfindet – negative Gefühle wurden aber auf jeden Fall erzielt. Vor allem, dass man während des Spiels nur wenig sagen darf, was mit dem Spiel zu tun hat, führt schnell zu einer bedrückten Stille, die sich ganz gut an das Thema schmiegt und – ungewöhnlich für eine derartige Stimmung – sogar angesichts des Themas sehr reizvoll wirkt.

Gleichzeitig ist das Spiel aber auch interessant genug, dass die Spieler es immer wieder noch einmal versuchen wollen – ob sie beim letzten Mal Erfolg hatten oder nicht. Insofern kann man das Spiel also nur empfehlen.

Hersteller Sweet Games
Autor Fabien Ruffaud und Juan Rodriguez
Künstler Tignous (nebenbei bemerkt war Tognous einer der Künstler, die beim Attentat auf Charlie Hebdo am 7.1.2015 ums Leben kamen)
Spieler 2-5
Denken 9
Glück 7
Geschicklichkeit 0
Preis ca. 19,95 €

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