Atlas der bekannten Welt – Aborea
… dann braucht er einen Atlas. Diese Binse haben sich einige Rollenspielsysteme zu Herzen genommen, wobei ihre „Reiseführer“ oftmals eher den Charakter eines Baedeker haben, und weniger den eines klassischen Atlas. In der zweiten Ausgabe von ATD&D gab es sowohl einen echten Atlas (zumindest in einer CC 2-Version) und einige Reiseführer, unter dem Namen Marco Volo. In diesen Büchern plauderte der namensgebende Charakter aus dem Nähkästchen und erzählte von dem, was er auf seinen Reisen erlebt hat.
Ähnlich umfangreich stellt sich bei Das Schwarze Auge dar. Auch hier gibt es, nach Landstrichen getrennt, eine ganze Reihe einzelner Bände, die zusammengenommen das Format einer kleinen Enzyklopädie ausmachen. Hier gibt es in bunter Folge an Sachtexte gemahnende Artikel, Erfahrungsberichte à la Marco Volo, Kommentare der Bewohner der einzelnen Landstriche und eigentlich gar nicht für einen dritten Leser gedachte Tagebuchauszüge und Ähnliches.
Für Aborea hat jetzt der 13Mann-Verlag einen entsprechenden Atlas aufgelegt. Wer allerdings auf ausgeprägtes Kartenmaterial hofft, wird wohl enttäuscht werden. Abgesehen von ein paar sehr groben Übersichtskarten, auf denen die wichtigsten Reiche Aboreas und ihre Lage relativ zueinander dargestellt werden gibt es hier keine einzige Landkarte – was ein wenig überrascht, da der Band eine Veröffentlichung “in der Spielwelt“ darstellen soll.
Der Band ist recht schön geraten, ein großes Hardcover in ungefähr DIN A4, hervorragend verarbeitet und mit zwei Lesebändchen (gelb und blau) versehen, die auch tatsächlich ein paar Millimeter länger sind als die Buchdiagonale, sodass man sie auch wirklich vernünftig verwenden kann.
Aus der Sicht des Constantin Emeritus Marcellino – eines Weltreisenden auf Aborea – werden die „größten Reiche“des Hauptkontinents Palea beschrieben. Auf über 300 Seiten kann man so in die Welt hinabtauchen, die sich hier als „klassische“ Fantasywelt darstellt.
Nach ein paar Vorworten gibt es erst ein paar allgemeine Texte, so eine Übersicht der wichtigsten Naturwunder, ein paar Worte zur Biologie und zu intelligenten Lebewesen, zum Meer und Sternen und eine etwa zehnseitige allgemeine Geschichte des Kontinents. Allerdings gibt es hier noch immer eine Menge großer Lücken, zwischen denen ein Spielleiter seine eigenen Abenteuer Hintergründe leicht einbauen kann. Auch wird in einem Extra-Artikel darauf eingegangen, dass es noch viele kleinere und kleinste Reiche gibt. Die sich oft wie bei uns Andorra oder Liechtenstein zwischen zwei großen Reichen befinden – so, dass sie auf einer Karte in „vernünftigem“ Maßstab für die großen Reiche schon kaum zu erkennen wären. All diese Kleinstreiche (die in einem der extrem seltenen Setzfehler auch schon einmal als Klein-Streiche getrennt wurden) kann man im Endeffekt ähnlich verwenden wie die „streitbaren Königreiche“ Aventuriens: als Ausgangsort einer großen Kampagne, als Zwischenstation, die durch eine ungewöhnliche Kultur für Auflockerung sorgt, als Rückzugs- und Zufluchtsort für die Helden…
Ein wenig hartwurstig wirkt auf mich allerdings das Kapitel zum Handel, in dem für alle einzelnen Reiche die Hauptsprache, das Zahlungsmittel, der Hauptexport und -Import und exemplarische Besonderheiten aufgelistet werden. Diese Liste wäre für einen Spielleiter, der eine Handelssimulation erstellen will, sicherlich interessant, dürfte aber für die einzelnen Spieler eher uninteressant sein – oder wegen ihrer Detailverliebtheit eher verwirrend.
Jedes der Reiche wird im Hauptteil des Atlas auf zwei bis vier Seiten relativ kurz umrissen, wobei mir auffiel, dass von stereotypischen Landstrichen (so wie das orientalisch angehauchte Al’Qadim, das auf aztekisch angelegte Maztica bei AD&D, oder auch die meisten Ländereien beim schwarzen Auge) hier eher abgesehen wird. Bei einzelnen Landstrichen musste ich zwar an andere Gegenden denken, aber diese sind nicht so beschrieben, dass man sie plakativ mit ein paar Pinselstrichen in der Vorstellung der Spieler erwecken könnte.
Ernstliche Schnitzer sind mir beim Lesen des Buches nicht aufgefallen (die oben genannten kleinen Streiche waren eindeutig eine Ausnahme: Rechtschreibung, Spielweltlogik, Satz und Verarbeitung sind nachgerade vorbildlich gelungen. Sogar das redaktionelle Vorwort passt in dieses Bild (und diese sind ja gelegentlich das Stiefkind der Redaktion, wie die Neuausgabe von Cthulhu beweist…)
Anders als in vielen anderen Werken dieser Art findet man diesem Atlas keinen einzigen Spielwert – nicht nur würde das dem Konzept eines Werkes, das aus der Spielwelt selbst stammt, widersprechen; man kann den Band auch ohne weiteres den Spielern aushändigen, ohne dass diese nötig Spielwerte oder Geheimnisse erfahren würden.
Es mag Spielleiter geben, denen genau das an diesem Atlas nicht gefällt, aber hier muss ich ganz ehrlich sagen: es wäre wesentlich störender, wenn hier jetzt Spielwerte auftauchen würden, die explizit Werten aus bereits veröffentlichtem Material widersprechen würden.
So aber ist der Band auch für Spielleiter, die „nur“ eine Fantasywelt suchen, in der sie ihre Spieler absetzen können, hervorragend geeignet. 13Mann und Sebastian Witzmann haben hier alles richtig gemacht.
Hersteller | 13 Mann |
Autor | Sebastian Witzmann et.al. |
Autor | Mandred Thull et.al. |
Spieler | RPG |
Denken | RPG |
Glück | RPG |
Geschicklichkeit | RPG |
Preis | 19,95 € |
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