Weihnachten und andere Amtsangelegenheiten
In Deutschland ist so ziemlich alles behördlich geregelt. Mietpreise, Hundehaufen, Getreide, Kunst und Musik – es gibt kaum etwas, dass sich der Staat nicht einzumischen scheint. So ist es auch keine Überraschung, dass es ein Bundesamt gibt, dass Normalbürgern und magischen Wesen das Multikulti-Zusammenleben erleichtern soll.Von den Regeln zur Besteuerung im Wachdienst eingesetzter Werwölfe (sind diese Wachhunde steuerlich absetzbar) über die vorschriftsmäßige Zufütterung des gemeinen Gartendrachens während der kalten Wintermonate bis hin zu Aufbaukrediten der Blutbank für Wiederaufbau für zugewanderte Haemovore: bei allen Problemen solcher Art kann man sich vertrauensvoll an das Bundesamt für magische Wesen in Bonn wenden. Auch wenn das Straßenverkehrsamt (oder gar das Luftfahrt-Bundesamt) sich beim Erwerb des Pilotenscheins für fliegende Teppiche querstellt, hilft dieses Amt gerne und effektiv.
Nun müssen ja im Rahmen der transparenten Verwaltung die Behörden regelmäßige Arbeitsberichte vorlegen. Auch das BAfmW tut dieses, wie es sich gehört. Nachdem im vorigen Jahr Migration, Heimat- und Ausländerfragen die zentrale Aufmerksamkeit des Arbeitsberichtes auf sich zogen, erschien nunmehr der Arbeitsbericht 2017 mit dem Titel "Weihnachten und andere Amtsangelegenheiten" im amtseigenen Verlag und ist für Interessenten käuflich zu erwerben
Der Verlag mit dem Namen Bundeslurch-Verlag ist eine relative Neugründung und soll zum 1. Januar nächsten Jahres Mitglied im Börsenverein des Deutschen Buchhandels werden. Hiermit macht das Bundesamt einen weiteren Schritt hin zum Veröffentlichungskanal für Autoren fantastischer Literatur – ursprünglich war das Amt ja eher eine Interessenvertretung und Arbeitsgemeinschaft im fantastischen Genre tätiger Künstler. Mehr über die Zukunftspläne des Bundesamtes werde ich weiter unten zusammenfassen. Aber zunächst einmal möchte ich über den Arbeitsbericht 2017 sprechen.
Der Arbeitsbericht ein etwa 250-seitiges Hardcover-Buch mit einer Anthologie, in der zehn Kurzgeschichten verschiedener deutschsprachiger Autoren zusammengefasst sind, die alle irgendwie mit Weihnachten in Verbindung stehen. Im einzelnen sind die Geschichten:
- Chris Schlicht: Die Heiligen der Nacht
Der junge Mönch Tomas stirbt bei einem großen Erdbeben – und wacht in der nächsten Nacht als Steinseele wieder auf. Tagsüber als Statue gefangen, ist er nachts stiller Beobachter der Menschen. Damit will er sich allerdings nicht abfinden.
- Margarete Alb: Das Thomasturnier
Cernun Otternherr hat sich vor seinen Feinden im Schmalkaldischen Exil verkrochen. In der längsten Nacht des Jahres lockt ihn eine ausnehmend seltsame Zusammenkunft von Dämonen aus seinem Versteck.
- Anne Zandt: Wintermond
Treffen Sie einen Werwolf, der sich mit Überstunden, den Gerüchen vom Weihnachtsmarkt und genervten Pendlern herumplagen muss. Schafft er es rechtzeitig vor seiner Verwandlung nach Hause?
- Tina Becker: Blutmond um Mitternacht
Im winterlichen Wald kommt eine Hexe grausam ums Leben. Minna, die Oberste des Hexenzirkels, verdächtigt die Werwölfe und schwört grausame Rache.
- Markus Watolla: Das Geheimnis des Peter Gennersheim
Der neue Nachbar verhält sich äußerst seltsam. Ist das Verfolgungswahn, oder ist wirklich jemand hinter ihm her?
- Dorothe Reimann: Jahr und Tag
„Meine Damen und Herren, Sie arbeiten ab heute für das Bundesamt für magische Wesen, Sektion Taktisches Drachengeschwader 35 ‚B‘. Die Mitarbeiteranzahl beträgt mit Ihnen 54.“
- Carmilla DeWinter: Ruhige Feiertage
Der Incubus Frisk ist in Karlsruhe untergetaucht. An Heiligabend gerät er in die Auseinandersetzung zwischen einem verirrten Alben und einigen Betrunkenen. Die resultierende Explosion ruft die Behörden und eine erpresserische Hexe auf den Plan.
- Katrin Minert: Schneeflöckchen
Bob, wandernder Tischlergeselle und Wermaus, trifft eine geheimnisvolle Frau namens Skadi Flocke, die immer ein Hauch nach Schnee umweht. Genau deswegen ist allerdings ein skrupelloser Geschäftsmann hinter ihr her.
- Carola Jürchott: Das Buch der Weihnacht
Als das Buch verschwindet, in dem zum Weihnachtsfest nachgeschlagen wird, ob die Kinder denn das ganze Jahr brav gewesen waren, müssen sich die Weihnachtswichtel und -Engel etwas einfallen lassen, damit das Fest trotzdem gerecht stattfinden kann.
- Hagen Ulrich: Sebastians blutige Prüfung
Sebastian Harrach, magiebegabter und entführter Sohn des fundamentalistischen CDU-Politikers Peter Harrach, gilt als tot. Seine Freunde sind in ihrer Trauer wie gelähmt. Der hinter der Entführung stehende Peter Harrach wird Innenminister in der sächsischen Landesregierung. Derweil werden an Sebastian in einer polnischen Klinik Verfahren zur Homoheilung getestet. Doch dann findet Sebastians magischer Ring den Weg zu seinem Eigentümer. Sebastian erwacht aus seiner Situation. Und nimmt Rache.
(Anmerkung: diese "Geschichte" ist eine Leseprobe aus dem gleichnamigen Roman, der Ende Januar im Himmelstürmer-Verlag als fünfter Band einer Urban-Fantasy-Reihe erscheinen wird.)
Die Geschichten sind teilweise recht kurz, teilweise aber auch relativ lang: die kürzeste hat nur sechs Seiten, während die längste mit 52 Seiten fast schon Groschenheft-Format hat. Vom fantastischen Mittelalter bis hin zu moderner Urban Fantasy, von der Liebesstory über die Abenteuergeschichte bis hin zu Horror reicht die Bandbreite der Erzählungen. Auch der Humor kommt nicht zu kurz, insbesondere, wenn das Bundesamt in höchsteigener Person die Bühne betritt
insbesonders möchte ich dem Leser die drei Geschichten ab Blutige Feiertage ans Herz legen. Carmilla deWinter baut, wie bereits angedeutet, den deutschen Behördenwahn schön in eine Geschichte, die in Karlsruhe spielt ein. In der Geschichte von Kathrin Minert erhält man nicht nur interessante Einblicke in das Zusammenleben höherer Wesen verschiedener europäischer Götterwelten sondern wird auch in das ungewöhnliche Leben von Wermäusen eingeführt – hinzu kommt, dass mit dem Begleiter/Beschützer/Haustier von Skadi, einem gelben Spitz namens Rul, ein Charakter präsentiert wird, bei dem man sich unwillkürlich wünscht, ihm tatsächlich zu begegnen. Carola Jürchott schließlich variiert mit einem Augenzwinkern die moralisierende Legende vom großen Buch des Weihnachtsmanns („He’s making a list and checking it twice / Gonna find out who’s naughty and nice / Santa Claus is comin‘ to town / He sees you when you’re sleepin‘ / He knows when you’re awake / He knows if you’ve been bad or good / So be good for goodness sake“) und endet die Geschichte mit einer positiven, versöhnlichen Note.
Wer noch ein Weihnachtsgeschenk für jemanden sucht, der nicht dem geschriebenen Wort abhold ist, kann sicher mit diesem Buch ein schönes Geschenk finden.
Interessant an diesem Buch ist auch, dass es tatsächlich daherkommt wie eine behördliche Verlautbarung. So sind beispielsweise Leerseiten, die dadurch entstehen, dass Geschichten grundsätzlich auf der rechten Seite beginnen sollen, mit dem aufgedruckten Vermerk "Seite unbedruckt" versehen, auf allen Textseiten findet man als Fuß den Titel und die ISBN des Buches – es ist eben Produkt eines Bundesamtes. Schön auch, dass der Präsident des Bundesamtes für magische Wesen, Edmund F. Dräcker, persönlich ein politisch korrektes Vorwort ("alternative Ernährungsbedürfnisse auf Hämoglobinbasis", "nocturne Spezies mit lunar bedingtem Freizeitverhalten" und ähnliche Begriffe finden Verwendung) geschrieben hat.
Erhältlich ist das Buch als Hardcover beim Verlag, als PDF und als eBook in den gebräuchlichen Formaten. Als Hörbuch es leider nicht verfügbar, Thema wird aber vom Verlag im Auge behalten.
Wer das Buch jetzt zum Wochenanfang beim Verlag bestellt, sollte es auch noch rechtzeitig vor den Feiertagen erhalten können. Für unsere Leser hat der Verlag noch ein besonderes Angebot: wer bei der Bestellung den Gutscheincode "roachware" (ohne Anführungszeichen!) benutzt, spart hiermit die Versandkosten.
Verlag | Bundeslurch-Verlag |
Herausgeber | BAfmW |
Redaktion | Carmilla DeWinter |
Autoren | Chris Schlicht, Oaanna Stephan, Anne Zandt, Tina Becker, Marcus Watolla, Dorothee Reimann, Carmilla DeWinter, Katrin Minert, Carola Jürchott und Hagen Ulrich |
Preis ca. | Print 19,90 € eBook/ePDF 14,90 € Kindle-Version: 14,99 € |
Produktseite beim Bundeslurch-Verlag
Mehr über den Verlag
Das besprochene Buch ist das erste größere eigene Produkt des Verlages, der mit diesem Band – auch mit dem Blick auf knappe Produktionsfristen vor Weihnachten – erste Erfahrungen mit dem Druck eines Hardcovers sammelte. Zum 1. Januar 2018 wird der Verlag Mitglied im Börsenvereins Deutschen Buchhandels und damit vollwertiger Buchverlag.
Als neuer Verlag ist er explizit offen für neue Autoren. In einer Stellungnahme sagte Verlagshaber Hagen Ulrich. "der Verlag agiert nicht als Druckkostenzuschußgedöns; d.h. wir nehmen Buchvorschläge an, wenn es eine gute Geschichte ist. Und nicht, weil der Autor dafür bezahlt."… Was ich als einen für die Autoren sehr positiven Standpunkt sehe. Auch Illustratoren kann der Verlag sicher gut gebrauchen.
Auch plant der Verlag, zukünftige Publikationen im bereits beschriebenen "behördlichen" Design zu veröffentlichen, wodurch eine Sammlung von Büchern aus dem BAfmW auch optisch etwas Besonderes wäre.
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