Das John Carter vom Mars-Rollenspiel
Ferne Welten haben die Fantasie schon immer angeregt. Vor allem „Abenteuerliteratur“ aus der Zeit vor 50 bis 100 Jahren nutzte derartige Settings. Sei es das bis dato noch ziemlich unerforschte Innere Afrikas, wie bei Henry Rider Haggard in den Romanen um Allan Quatermain, sei es das Innere der Erde wie in Jules Vernes Roman, seien es andere Planeten (John Normans Gor, Kenneth Bulmers Dray Prescott,Aley Raymonds Flash Gordon) – viele dieser klassischen Geschichten gehören heutzutage zum Allgemeingut.
Sicher hatte Edgar Rice Burroughs unter den Autoren dieser Geschichten insofern eine besondere Rolle, als er mit seinem Oeuvre viele der genannten inspirierte. Sein Pellucidar dürfte spätere Hohlwelt-Geschichten bis hin zu HEX beeinflusst haben, seine Tarzan-Geschichten begeisterten auch im Fernsehprogramm viele – auch seine Geschichten über Abenteuer auf den anderen Planeten unseres Sonnensystems waren zu ihrer Zeit richtungsweisend. Auch wenn die Romane hier in Deutschland nicht so gut rezipiert worden, erinnere ich mich doch an die Übersetzungen mehrerer Mars-(Barsoom-) Romane und zweier Venus-Romane. Bekannter wurden sie dann hierzulande mit den Verfilmungen von 2009 (Princess of Mars) und 2012 (John Carter – Zwischen zwei Welten).
Der Titel des letzten Films beinhaltet dann auch gleich den Namen der Hauptfigur der Romanreihe. John Carter, der nach dem amerikanischen Bürgerkrieg in einer geheimnisvollen Höhle auf dem Mars versetzt wird, gab damit dann auch dem neuen Rollenspiel aus dem Hause Modiphius seinen Namen. Mir lag dieses Spiel als PDF-Datei vor was bei einem Rollenspiel ja grundsätzlich nicht besonders ungünstig ist.
Allerdings benötigt man für das Spiel außerdem natürlich noch Würfel – wobei die benötigten Würfel, wie auch bei dem Conan-Rollenspiel aus dem gleichen Hause, zumindest teilweise etwas ungewöhnlich sind. Man kann sie aber relativ leicht mit normalen Würfeln ersetzen.
Benötigt werden nämlich mehrere 20-seitige Würfel (das System heißt nicht von ungefähr 2d20) und sechsseitige Würfel, bei denen nur die eins und die zwei die normalen Punkte (im Regelwerk Erfolgssymbole genannt) tragen, die Seiten, auf denen normalerweise die drei und die vier stehen, sind leer, und die fünf und die sechs zeigen jeweils ein Spezialsymbol (sogenannte Effektsymbole). Diese sechsseitigen Würfel werden in der Regel beim Bestimmen von Schaden verwendet, wobei jedes Effektsymbol nicht nur einen zusätzlichen Effekt des Schadens anzeigt, sondern außerdem auch als ein Erfolgssymbol zählt. Mithin kann ein einzelner Schadenswürfel dann einen Punkt, zwei Punkte, keinen, keinen, einen Punkt plus Effekt, und noch mal einen Punkt plus Effekt anzeigen. Man könnte allerdings auch normale sechsseitige Würfel verwenden und bei fünf und sechs eben einen Punkt plus Effekt werten. Hierfür gibt es im Regelbuch sogar eine entsprechende Tabelle.
Ein ganz normaler Würfeltest funktioniert in diesem System grundsätzlich wie bei jedem 2d20-System: es werden im Normalfall zwei 20-seitige Würfel gewürfelt, und ein Erfolg ist zunächst einmal jeder Würfel, der ein niedrigeres Ergebnis zeigt als die Summe von zwei Attributen. Insgesamt hat jeder Charakter sechs Attribute – Wagemut, Gerissenheit, Empathie, Macht (also Körperkraft), Leidenschaft und Denkvermögen. Diese haben im Regelfall Werte von 4-12, wobei die meisten im Bereich 6 bis 8 liegen dürften. Neben den Erfolgen, die durch die Würfel generiert werden, die weniger als die Summe der zwei für die Handlung bestimmenden Attribute anzeigen, gibt außerdem jeder Würfel einen zusätzlichen Erfolg, dessen Wurfergebnis kleiner ist als der kleinere der beiden Attributwerte. Bei einem Standardwurf (2d20) können dies somit maximal vier Erfolge werden. Allerdings kann durch günstige Umstände auch die Anzahl der zu werfenden d20 verändert werden, bis hin zu einem Maximalpool von 5d20 und damit einem maximalen Erfolgsgrad von 10.
Fällt ein Würfel bei einem solchen Wurf auf die 20, so ist das nicht direkt für diesen Wurf schädlich – abgesehen davon, dass der Würfel natürlich dann auch keine Erfolge liefern kann –, aber jede auf diesem Weg fallendende 20 verursacht Komplikationen – zum Beispiel, dass man zwar die Steilwand hochgeklettert ist aber oben feststellen muss, dass man beispielsweise wichtige Vorräte aus dem Rucksack verloren hat – oder oben bereits von Gegnern erwartet wird. In welcher Form sich diese Schwierigkeiten auftun, bleibt dem Spielleiter überlassen; sie sollten sich aber relativ kurzfristig nach dem Wurf zeigen – oder den Bedrohungspool des Spielleiters vergrößern.
In diesen Bedrohungspool kann der Spielleiter Punkte sammeln, mit denen er das Leben der Spieler Charaktere erschweren kann. Sei es, dass er mit Punkten aus diesem Pool erst Bedrohungen schafft, mit diesen Punkten erforderliche Erfolgsgrade erhöht o. ä.
Andererseits können die Spieler auch „Momentum“ sammeln, wenn sie bei einzelnen Würfen mehr Erfolgsgrade erreichen als nötig. Dieses Momentum wirkt nach dem Motto: der Erfolg beflügelt mich, sodass man für jeden Punkt Momentum in einen Wurf einen d20 hineinstecken kann – natürlich nur bis zum Maximum von 5d20.
Ein Spieler hat auch andere Möglichkeiten, den Würfelpool für einen Wurf zu vergrößern: er kann zum Beispiel hinnehmen, dass der Spielleiter Punkte für seinen Bedrohungspool erhält und dafür im Gegenzug Zusatzwürfel erhalten. Außerdem kann man durch Zusammenarbeit mit anderen SCs ebenfalls seinen Pool vergrößern.
Schließlich kann auch ein Spieler Glück sammeln – diese Punkte werden allerdings nicht in Zusatzwürfel umgewandelt, sondern führen direkt dazu, dass ein Spieler einen der zu würfelnden Würfel bereits vor dem Wurf auf eins legen darf (und damit zwei Erfolge erzielen kann).
Charaktere in diesem Setting sind entweder Menschen von der Erde oder Marsianer – wobei die von Burroughs erwähnten Rassen (rote, gelbe, grüne und schwarze Marsianer) zur Auswahl stehen. Zur Charaktererschaffung gehört, dass man zusätzlich zur Rasse auch einen „Beruf“ wählt (beispielsweise ein Flugschiffoffizier, Soldat, Heiler oder Wissenschaftler). Rasse und Beruf beinhalten auch Boni bzw. Mali auf die Attributswerte, deren Basiswert durch die Bank vier beträgt. Allgemeine Fertigkeiten wie Klettern gehören nicht ins System; genau wie in den Romanen von ERB wird ganz einfach davon ausgegangen, dass ein Charakter grundsätzlich in allem kompetent ist.
Abschließend hat jeder Charakter außerdem noch eine adjektivische Beschreibung, die ihm auch wieder Attributsboni gibt, spezielle Talente und einen Ruf auf dem Mars. Auf der negativen Seite wählt man dann allerdings auch einen Schwachpunkt, beispielsweise hitzköpfig, der einem das Leben schwer machen kann.
Der Rest des Buches ist mit relativ guten Spielleitertipps gefüllt, so wie mit einer ziemlich umfassenden und originalgetreuen Beschreibung des Mars wie er in den Romanen dargestellt wird. Schon alleine diese Tipps und die Beschreibungen sind meiner Meinung nach die Anschaffung des Buches ohne weiteres wert.
Womit ich dann zu den Schwachpunkten des Buches komme. Wie gut das Buch in der Praxis zu handhaben sein wird, kann ich leider nicht sagen. Zum einen lag es mir nur als PDF vor – was für mich gar nicht so unangenehm ist, angesichts meiner linksseitigen Lähmung. Allerdings sind die Seiten in der PDF im Querformat angelegt, was zwar am Bildschirm relativ angenehm war, weil die Texte so wesentlich mehr Bildschirmfläche einnehmen konnten und trotzdem lesbar blieben; ich könnte mir aber vorstellen, dass dieses ungewohnte Format im Spiel unhandlich wirkt.
Was mir allerdings besonders negativ auffiel, war die Struktur des Textes: teilweise wurden Begriffe vorweggenommen, die man dann verzweifelt suchte, teilweise Themenbereiche, die logisch zusammengehören würden, ziemlich weit auseinandergezogenen. Ein Beispiel: die erste Erwähnung der Glückspunkte erfolgte bei der Beschreibung, wie man seine Chancen in einer Probe verbessern kann – wie man diese Glückspunkte erwirbt und was man sonst noch so mit Ihnen alles anstellen kann, stand aber mehr als zehn Seiten weiter hinten in dem Buch.
Auch fand ich die PDF relativ schlecht zu benutzen: es gibt zwar ein – für das Papierformat auch nützliches – detailliertes Inhaltsverzeichnis, in einer PDF hätte ich mir allerdings gewünscht, dass die einzelnen Punkte des Inhaltsverzeichnisses auch direkt durch Anklicken zum entsprechenden Kapitel führen würden. Grundsätzlich das gleiche gilt auch für das Stichwortverzeichnis am Ende des Buches, das auch gerne etwas größer gedruckt werden könnte – während ich den Haupttext des Buches auf meinem Bildschirm in Fullscreen noch relativ gut lesen konnte, musste ich mich bereits vorbeugen, um die einzelnen Punkte des Index zu entziffern.
Einmal abgesehen von diesen eher handwerklichen Problemen wie der fehlenden Verlinkung gefiel mir John Carter vom Mars ziemlich gut. Ich habe die wenigen übersetzten Romane allerdings auch Anfang, Mitte der siebziger Jahre verschlungen und bin heute noch ein Fan. In meiner Testrunde (die ich glücklicherweise kurzfristig einberufen konnte, als ich feststellen musste, dass ich letztes Wochenende nicht zur DraCon konnte), gab es allerdings auch Spieler, die die Roman nicht kannten – und die vermutlich daher auch nicht so den Draht zum Setting fanden.
So richtig empfehlen würde ich das Spiel also eher für Leute, die die Romane von ERB mögen – oder eventuell auch die alten Serials zu Flash Gordon.
Hersteller | Modiphius Entertainment | |
Autor | Richard August, Jennifer Baughman, Jason Brick, Darren Bulmer, Mark Carroll, Chris Lites, Bryan C.P. Steele, Jonathan M. Thompson, Peter Wright | |
Künstler | Björn Barends u.v.a. | |
Spieler | RPG | |
Denken | RPG | |
Glück | RPG | |
Geschicklichkeit | RPG | |
Preis ca. | 55,– € (Print), 17,80 € (PDF) |
John Carter RPG bei Amazon
Schreibe einen Kommentar