Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern

Dreadnought – Fürchte nichts! für Private Eye

Ich muss gestehen, dass ich für diese Rezension wesentlich länger gebraucht habe als ursprünglich geplant. Meine Rollenspiel-Testrunde musste – nachdem wir das Abenteuer bereits begonnen hatten – eine Reihe von ursprünglich geplanten Terminen ausfallen lassen, weil gleich mehrere Mitspieler krank geworden waren – und dann kam auch noch die Möglichkeit das John Carter vom Mars-Rollenspiel zu testen. Bis wir dann schließlich das Abenteuer neu starten konnten, hatten die Mitspieler – von denen auch inzwischen einer durch Umzug ausfällt – mittlerweile alles vergessen, worüber gesprochen worden war. So mussten wir noch einmal das Abenteuer ganz von vorne beginnen.

Beim Titel und Titelbild hatten zwei Mitspieler ein Aha!-Erlebnis. Wenn jemand, wie der Großteil meiner Runde, in den ’70er Jahren aufgewachsen ist bzw. in der Zeit begann, englische Literatur zu lesen und außerdem ziemlich SF- und Fantasy-affin war, bestand eine große Chance, dass man dem Begriff Dreadnought – auch in der Schreibweise Dreadnaught – erstmalig in Militär-und und Pseudo-Militär-SF begegnete, ohne diesen maritimen Kriegsschifftyp bereits zu kennen. Wenn man den Begriff dann ohne zu hinterfragen akzeptierte, wurde er dann in der eigenen Vorstellungswelt quasi zwangsläufig mit Raumschifftypen in Verbindung gebracht – in einer Linie beispielsweise mit Sternenzerstörern oder einem Todesstern. Dass dieser Schiffstyp aber historisch ist, war für einige Mitspieler daher ein klein wenig überraschend.

Militärhistorisch gesehen ist der Typ allerdings ziemlich jung – das Abenteuer für Private Eye spielt Anfang des 20. Jahrhunderts und thematisiert die Entwicklung der ersten Schiffe dieses Typus.

In diesem Abenteuer geht es nämlich um den plötzlichen Tod eines Mitarbeiters im britischen Marineministerium. Und wie der Zufall (?) es so will, ist ausgerechnet dieser Mitarbeiter an der Entwicklung eines neuen Schlachtschifftypus beteiligt. Oder war es überhaupt kein Zufall? Hatten irgendwelche Spione versucht, an die Unterlagen zu dem Schiffstyp zu gelangen, um die englische Vorherrschaft auf den Weltmeeren endgültig zu brechen?

Erschwert wird die ganze Angelegenheit für die Spielercharaktere dadurch, dass es auch im Haushalts des Ermordeten heftig kriselte – auch ohne hochpolitisch-geheimdienstliche Verstrickungen gäbe es bereits eine Menge zu erforschen.

Interessant wird das Abenteuer auch durch die Möglichkeit, die Spielercharaktere auf völlig unterschiedlichen Wegen in das Abenteuer zu bringen: sind sie polizeiliche Ermittler? Arbeiten sie für die Familie und wollen ermitteln, wer den Armen umgebracht hat? Oder sind sie im Auftrag der Admiralität unterwegs und ist ihr Ziel nur sicherzustellen, dass die Geheimnisse des neuen Schlachtschiffs nicht an die Feinde des Landes verraten werden?

So oder so werden die Charaktere aber genötigt sein, beide Seiten des Geheimnisses zu untersuchen: wenn sie nur sicherstellen wollen, dass keine Geheimnisse verraten wurden, können sie das erst dann abschließend beantworten, wenn der Täter gefasst worden ist – und dieser dann sich als völlig unpolitisch herausgestellt haben sollte. Aber auch, wenn sie für die Familie unterwegs sind, werden sie notwendigerweise auch überprüfen müssen, ob und inwieweit der Täter eventuell ins Spionagemilieu gehört.

Der historische Hintergrund des Abenteuers selbst dem Spielleiter einen engen Rahmen, dann erst zeitlich einordnen kann: Herbst/Winter 1904 war eben die Zeit, in der die britische Kriegsflotte an diesem neuen Schiffstyp arbeitete. Man könnte das Abenteuer mit viel Handwedelei ein paar Monate früher – oder, mit viel Bauchschmerzen auch später – ansiedeln. Ansonsten müsste man eben versuchen, ein anderes, ähnlich bahnbrechendes militärisches Projekt zu finden, dass für Spione feindlicher Mächte interessant wäre.

Auch im privaten Bereich der Familie lassen sich eine Menge Motive für einen Mord finden. Affären, unerwünschte oder nicht standesgemäße Beziehungen, aber auch die Hoffnung auf ein reiches Erbe kommen hier ohne weiteres zum Tragen – dass das Opfer sein Testament erst kurz vor seinem Ableben geändert hat, sorgt für zusätzliche Verwirrung.

Und natürlich versuchen auch dressierte Parteien auf beiden Ermittlungssträngen, die Ermittlungen zusätzlich zu erschweren – wollen hier Spione von ihren Taten ablenken oder private Marder den Verdacht auf Spione lenken? Meine Spieler hatten nach der langen Zwangspause zunächst einmal keine Übersicht mehr gehabt; aber auch, als wir das Abenteuer an zwei Abenden innerhalb einer Woche (montags und donnerstags) durch spielten, fanden sie die ganzen Spuren und Möglichkeiten immer noch extrem verwirrend. Hier muss man beachten, dass das Abenteuer mindestens zwei Sitzungen erfordert, wenn die Spieler ihre Charaktere gerne weit ausspielen, eventuell sogar drei. Eine Gruppe, die nicht zumindest wöchentlich zusammenkommt, wird mit den zahlreichen Handlungsweisen ziemliche Probleme bekommen, sogar, wenn sie akribisch über die Ereignisse Buch führt.

Eine wirklich gut geübte Gruppe könnte ein Spielleiter allerdings auch zusätzlich in das Kreuzfeuer der Ministeriums-internen Querelen stellen, denn auch im Kriegsministerium sind die Positionen selbstverständlich gespalten und so manch einer fühlt sich übergangen.

So haben die Detektive – ob sie jetzt Privatermittler sind oder für das Ministerium arbeiten – auf jeden Fall eine Menge Arbeit vor sich, Licht in das Dunkel um den Tod eines Mitarbeiters der Admiralität zu bringen.

Auf eines muss der Spielleiter sich allerdings auch gefasst machen: da in der Zeit, das Abenteuer spielt, die Wissenschaft nicht so weit war, könnte ein

Spoiler

Mord mit Strychnin (ein Gift, das damals nur schwer nachzuweisen war, auch weil es chemisch den Zersetzungsprodukten innerhalb einer Leiche ähnelte)

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auch als „plötzliches Herzversagen“ kommentarlos als acta gelegt werden, wodurch sich dann die Ermittlungen zumindest anfänglich wohl eher auf den Verdacht aus dem Spionage-Zweig beschränken würden und die Charaktere eher auf eine Jagd nach einem Spion gehen könnten. Dies sollte allerdings bei einigermaßen intelligenten Spielern nur eine zeitweilige „Abweichung vom Plan“ darstellen.

Meine Gruppe selbst fand das Abenteuer sehr gut gemacht, aber in ihren eigenen Worten „bloody difficult“. Eventuell wird man als Spielleiter hier auch einige Male blinkend eingreifen müssen. Aber im Endeffekt dürften sich der Einsatz und die Mühe lohnen.

Grundsätzlich ist das Abenteuer auch gut geschrieben, und wirkt auch hervorragend lektoriert. Mir selber ist nur ein Tippfehler aufgefallen: der damals in England verbreitete „Unterschichtensport“ pub crawling ist irgendwie zu pub crowling mutiert.

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Autor Jens Holzinger
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