Kommentar
Aus gegebenem Anlass, und weil mich mehrere Leute auf der RPC darauf angesprochen haben, werde ich in Zukunft unregelmäßig meinen Senf ungefragt verteilen, zu Themen, die zu diesem Blog passen. Also eher nicht Kommentare zur Finanzpolitik der Indonesischen Regierung oder zu den Hochzeitsriten der Inuit, wenn diese Themen nicht gerade direkten Bezug zu Rollenspielen, Gesellschaftsspielem, Tabletops etc. haben.
Den Auftakt macht ein Ereignis, das am Wochenende die LARP-Welt erschütttert hat. Nicht, weil ich auch LARPer bin (obwohl ich nichts dagegen hätte, wenn ein LARPer LARP-Cons, LARP-Waffen, LARP-Regelwerke, LARP-Kleidung etc. rezensieren würde…), sondern weil die Reaktion auch andre Spielbereiche betrifft. Eine Veranstaltung der Jugendfreizeitstätte Hombruch für Kinder von 7-12 Jahren, die in den Osterferien stattfinden sollte und als 'L.A.R.P.' angekündigt wurde, wurde kurzfristig vom Jugendamt der Stadt Dortmund untersagt – wegen "berechtigten Zweifelkn an der Gewaltfreiheit“. Laut einem Bericht im Westen "soll beim Jugendamt ein Brief eingegangen sein, in dem vor LARP gewarnt wurde. (…) Ein Hinweis auf ein 'You Tube‘-Video mit einer gespielten Wirtshausrauferei soll dem Brief beigelegen haben. Der Clip, der in Hombruch entstanden sein soll, muss im Jugendamt schlimmste Befürchtungen geweckt haben. Jedenfalls wurde erst das Video aus dem Netz genommen, und dann die Ferienaktion aus dem Programm.“
Interessanterweise findet man sogar auf der Website des Jugendamtes selber in der Beschreibung der JFS eine Beschreibung solcher LARPS, in der ausdrücklich auf den kreativen und kooperativen Anteil des LARPs verwiesen wird. Auch wird auf die Internetpräsenz der LARP-Orga Tremonien verlinkt, die durch das Jugendamt 'unterstützt und maßgeblich gefördert' wird. Wenn LARP so gefährlich ist, wieso wird es dann vom Jugendamt überhaupt unterstützt? Und wenn es nicht gefährlich ist, wieso wird dann eine Veranstaltung, die von Fachleuten für 7-12jährige Kinder organisiert wird, verboten? Hier widersprechen die Signale sich entschieden.
Wenn man die Begründung ansieht, müsste man eigentlich erwarten, dass auch Veranstaltungen wie die RPC am letzten Wochenende (wo nicht nur LARPer, sondern auch, oh Schreck, Computerspieler und Pen&Paper-Spieler waren) noch viel gefährlicher sein müssten? Und wie steht es mit Veranstaltungen wie ein Schützenfest, das in manchen Gegenden Deutschlands fast schon automatisch zu einer echten 'zünftigen Wirtshausschlägerei' führt? Obendrein wird dort noch auf einen wehrlosen Holzvogel geschossen – führt das nicht viel mehr zu einer Verrohung der Sitten als das gesellige Miteinander in mittelalterlichen Kostümen? Müssen jetzt die Brauchtumsschützen fürchten, dass donnerstags oder freitags vor dem Schützenfest ihre Veranstaltung plötzlich verboten wird?
Nun, ich glaube, die Sportschützen haben wenig zu befürchten – sie haben eine große Lobby auch unter Industriellen und 'Gutbürgerlichen'. LARPer, Rollenspieler, Computerspieler sind aber noch nicht so weit. Die ältesten unter uns sind mittlerweile in einem Alter, in dem sie eventuell ernst genommen werden können – wer 20 Jahre alt war, als DSA auf den Markt kam, ist mittlerweile mit 45 im 'respektabelen‘ Bereich angekommen. Dennoch haben Rollenspieler aller Couleur immer noch den Ruf von 'Geeks' oder 'Nerds' – und leider scheinen manche sich auch heute noch in diesem Ruf zu sonnen. Dies gilt zum Teil sogar für die 'gesetzten Jahrgänge'. Dies hilft natürlich nicht dabei, dem Hobby in der Gesellschaft zu einer besseren Rezeption zu verhelfen – und da sollte sich so mancher an die eigene Nase fassen.
Und da das Hobby Rollenspiel in der Öffentlichkeit noch immer als 'seltsam' angesehen wird, und die Teilnehmer als 'leicht verrückt‘, fällt es natürlich leicht, alles Übel der Welt auf diese Schultern zu schieben. Es ist ja auch viel einfacher, die Schuld zuzuweisen, wenn man selber nicht zur schuldigen Gruppe gehört.
Wenn man die Presse und die Äußerungen der Politiker hört, dann kann man nur schlußfolgern: jeder einzelne Massenmörder und vor allem jeder Amokläufer war ein Computerspieler und ein Rollenspieler. Jemand, der Metal hört, und der nicht zum Establishment gehört. Jeder einzelne, ausnahmslos. Winnenden, Erfurt, Columbine, Volkhofen… Moment mal, Volkhofen?
In Köln-Volkhofen beging der 42jährige Frührentner Walter Seifert am 11. Juni 1964 einen Amoklauf, bei dem er mit einem selbstgebauten Flammenwerfer und einer Lanze seine ehemalige Schule überfiel. Auch seine Tat war eindeutig dem typischen Amoklauf-Schema zuzurechnen. Dennoch dürfte es Probleme bereiten, mit dem Finger auf die üblichen schwarzen Schafe zu zeigen. Die gab es im Jahre 1964 nämlich noch nicht, Das Schwarze Auge kam ziemlich genau 20 Jahre später erst auf den Deutschen Markt. Metal ist erst Anfang der 70er entstanden. 1964 waren es eher die Beatles und Elvis, die mit ihrer Musik "die Jugend verrückt machten“. Aber Seifert war nicht einmal ein Jugendlicher.
Wenn man die Amokläufer nebeneinander stellt, gibt es einige Gemeinsamkeiten, die niemand als Auslöser annimmt. Sie haben alle Brot gegessen – so weit ich weiss ausnahmslos. Sie haben alle zumindest hin und wieder Kaffe getrunken. Sie wurden alle von der Umwelt schräg angesehen, teilweise sogar gemobbt – oder hatten zumindest das Gefühl. Sie waren alle Menschen. In den allermeisten Fällen richtete sich der Amoklauf gegen ihre Schule.
Ich glaube, die ersten zwei Punkte wird wohl niemand als Auslöser ansehen. Und auch das 'schräg angesehen werden' ist in sich nur ein sehr schwacher Auslöser – wenn das automatisch zu einem Amoklauf führen würde, wäre die Menschheit wohl schon lange ausgestorben. Sollte die Schule der Auslöser sein, wäre die logische Konsequenz (und eine logischere als das unreflektierte Einprügeln auf LARP, das bislang noch nie in Zusammenhang mit Amokläufen gesehen wurde) die Schließung aller Schulen. Aber außer den Schülern würde das wohl niemand wirklich wollen.
Tja, und wenn man wirklich das Computerspiel oder LARP oder Rollenspiel als Auslöser annehmen wollte, müsste doch auch alle paar Tage jemand durchdrehen.
Im Gegenteil, abgesehen von einer größeren Reihe Diebstähle auf der RatCon – die eben nicht von Congängern ausgeübt worden waren -, habe ich selber bislang keine Gewalttätigkeiten auf Cons mitbekommen, weder auf Cons, auf denen ich war, noch was ich ansonsten so gehört hätte. Man vergleiche das mit Fußballmatches – die Geschichte des Heyselstadions ist leider nur in der Größe eine Ausnahme. Dennoch wird niemand behaupten, dass jemand, nur weil er Fussballfan ist, automatisch auch Randalierer oder gar Amokläufer.
Nein, die Rollenspieler, die ich so kennen gelernt habe, mögen nicht alle mit mir einer Meinung sein, aber ich wäre mehr als überrascht, wenn einer von denen zum Amokläufer würde. Dennoch ist dieses Bild in der Öffentlichkeit vorhanden. Wollten wir nicht etwas unternehmen, damit sich das endlich ändert?
Wenn Kindern Aktivitäten, auf die sie sich längere Zeit gefreut haben, weggenommen werden, hat dies einen wesentlich negativeren Einfluss auf sie als jedes Roollenspiel, vor allem wenn diese Änderung so kurzfristig geschieht wie jetzt in Dortmund. Aber Fingerspitzengefühl scheint heutzutage out zu sein. Aber wenn die Vorbilder und Behörden überreagieren, darf man sich nicht wundern, wenn die, die noch soziales Verhalten lernen, hieraus ebenfalls das Überreagieren lernen. Ich habe auch noch mit 20+ aus dem Rollenspiel soziales Verhalten gelernt – 7-12jährige hätten da noch viel mehr von, und lernen auch noch leichter. Eine vergebene Chance – und das ist mehr als schade.