Inrah-Kartenspiele
Inrah, das Tarot des Schwarzen Auges (genauer: das Tarot Aventuriens, denn mW gibt es dieses Kartenset nicht in Myranor), ist ziemlich sicher eines der am längsten erwarteten 'Add-ons' zu einem Rollenspiel. Schon kurz nach der ersten Erwähnung der Karten konnte man Stimmen hören, die gerne ein derartiges Kartenspiel besessen hätten – meine Stimme war damals eine davon -, aber viele, viele Jahre tat sich dann nichts.
Es gab ein Internetprojekt, mit dem man ein Inrah-Blatt selbst ausdrucken konnte, aber das hat natürlich einen ganz anderen Effekt als ein 'echtes' Inrah-Deck. Auch gab es verschiedenste Regelwerke sowohl zur Verwendung der Karten als Wahrsagekarten, als auch zu den mit den Karten möglichen Glücksspielen. Sogar für das Aventurische 'Poker‘, Boltan, gab es verschiedenste Versionen, die sich teilweise erheblich unterschieden. So spracht das Inrah-Projekt auf dem Internet davon, dass es beim Boltan-Spiel um Hände mit sieben Karten gehe, während der Roman 'Der Spieler' von fünf Karten ausgeht. Auch das relativ spät erschienene Abenteuer 'Sie Herren von Chorhop' verwendet fünf-Karten-Hände.
Und jetzt, ziemlich plötzlich, gibt es die Karten tatsächlich, und zwar gleich in zwei völlig verschiedenen Versionen.
Die erste ofiizielle Ankündigung, dass es tatsächlich Inrah-Karten geben werde, habe ich dann erhalten, als die Personal Edition von Drakensang 2 – Am Fluss der Zeit angekündigt wurde. Zu den speziellen 'Goodies‘, die mit der Personal Edition verkauft wurden, gehörte auch ein komplettes Inrah-Deck. Kurz darauf hörte man dann auch, dass auch Ulisses Spiele ein Inrah-Deck herausbringen wolle, das allerdings komplett anders entworfen sein werde.
Und so gibt es jetzt in einem Schlag zwei Decks, von denen eines aber nur auf Umwegen oder mit viel Glück zu erwerben ist. Auf der RPC wurden einzelne Exemplare des Drakensang-Decks, die nicht defekte Sendungen von Amazon ersetzen mussten, verkauft. Und auch auf eBay ist, während ich dies schreibe, nur das offiziell alleine verkaufte Deck von Ulisses zu finden. Dennoch lohnt es sich, die beiden Spiele einmal nebeneinander zu legen und zu vergleichen. Aber zunächst ein wenig über die Gemeinsamkeiten.
Zusammenstellung
Ein Inrah-Deck besteht aus insgesamt 121 Karten: 72 'Elementarkarten‘, und 49 'Arkana'. Letztere zeigen Motive aus der aventurischen Mythologie, dem alltäglichen Leben und so weiter, während die Elementarkarten jeweis 12 Karten jedes der 6 aventurischen Elemente sind: neben dem As noch jeweils die 2-7 des Elementes sowie die fünf 'Hofkarten‘, Fürst, Magier, Wiessagerin, Ritter, Knappin.
Zu den Karten kommt in beiden Packungen noch ein Haft mit Spielregeln und Wahrsageanleitungen, mit denen man die Karten auch im Rollenspiel gut verwenden kann.
Interessant ist, dass es, wie auch in der irdischen Geschichte, eine Trennung zwischen den Elementarkarten und den Arkanen gibt. Irdisch gibt es ja auch ein Tarock- bzw. Französisches-Tarot-Spiel, bei dem die 'Trümpfe' noch mitverwendet werden, aber die meisten Spiele benutzen höchstens noch den aus dem Trumpf-Teil abgeleiteten Joker (Trumpf 0, 'Excuse‘, in Deutschen Varianten 'Sküs‘).
Das in den Regeln beschriebene Spiel ist Boltan, das in vielen Zügen dem irdischen Poker gleicht. Diese Ähnlichkeit wird auch in den Spielregeln wiederholt angesprochen. In der aktuellen (und wohl als kanonisch zu betrachtenden) Fassung geht es um Hände mit fünf Karten, zum Spiel werden nur die Elementarkarten verwendet. Man dürfte allerdings ohne weiteres auch andere Spiele mit diesen Karten spielen können.
Interessant ist, dass sich durch die Verwendung des anderen Kartenblattes die Chancen auf bestimmte Kartenkombinationen verschieben. Hier war man sich bei Ulisses selbst wohl nicht ganz einig: die Rangfolge der Kartenhände (die ja darauf basiert, wie häufig eine Hand ist) wird in den mitgelieferten Regeln anders angegeben als im o.g. Chorhop-Abenteuer. Die genaue Berechnung der Wertigkeit der verschiedenen Hände ist ja nicht gerade Einfach, aber ich denke, dass die 'neue' Reihenfolge die tatsächlichen Chancen schon ziemlich gut abdeckt. Wichtig sind eben vor allen Dingen auch, dass man bei sechs Farben eben auch Fünflinge erhalten kann, dass die Wahrscheinlichkeit gleichfarbiger Karten sinkt (6 statt vier Farben), während die Chance auf gleichwertige Karten steigt (nur noch 12 statt 13 Werte). So kommt es dann auch dazu, dass (anders als noch im Chorhop-Abenteuer) der Straight („Lanze“ oder "Gasse“) und Flush („Sippe“ oder "Elementarkreis„) aufgewertet wurden und nun über dem Full House („Rotte“ bzw. "Familie“) resp. gar dem Vierling (auch "Pikenwall“) eingeordnet werden.
Ungewöhnlich für den irdischen Spieler ist sicher auch, dass das As als Beiblatt (irdisch: Kicker) immer als 1 zählt und nicht hoch, während es in Kombinationen hoch ist. Eine zweite Stolperfalle für den Pokerspieler ist die Kennzeichnung der Hofkarten: de Knappe, also die unterste Hofkarte, hat die irdisch höchste Kennzeichnung 'K'. Dass eine Lanze nach der 7 mit dem Knappen als erster Hofkarte beginnt (und man eben keine 8, 9 odwer 10 mehr hat), wirkt verglichen hiermit schon eher als eine kleine Bosnickeligkeit.
Die Boltan-Varianten kommen dem Pokerspieler sofort bekannt vor: 'Svellttal-Boltan' entspricht unserem Draw Poker, 'Fünf aus Sieben' bzw. 'Sphären-Boltan' dem ebenso klassischen Stud. Das heutzutage gerade in Europa populärste Texas Hold’em heisst 'Entsatztrupp' bzw. 'Brabaker bluffen' (wobei im Heft von Ulisses auch noch 'Svellttaler Boltan' als Name erwähnt wird – was wiederum fast genauso klingt wie 'Svellttal-Boltan‘, s.o.). Mit Basis-Pokerwissen ausgestattet, kann man also sofort loslegen, auch wenn man die aus dem Fernsehen bekannten Chancen vergessen sollte: die 1/3 Chance, einen open-ended Straight oder einen Flush Draw füllen zu können, wären hier hoffnungslos falsch eingeschätzt.
Als zweites wird die Möglichkeit erwähnt, die Karten bei einem Wahrsager anzutreffen. Auch hier werden eine ganze Reihe Legemöglichkeiten beschrieben, die den irdischen Methoden verblüffend ähneln. Wer ein wenig Erfahrung mit irdischer Wahrsagerei hat (oder ein entsprechendews Buch besitzt oder in der Bücherei ausleiht) dürfte allerdings mit den dort anzutreffenden weiteren Legemethoden oftmals noch stimmungsvollere Leg(g/s)ungen hinbekommen.
Abgeschlossen werden die Hefte jeweils mit Deutungen für die verschiedenen Karten – Bedeutungen der Farben, Werte und Einzelkarten sowie der Arkanen.
Das einzige, was ich ein wenig vermisste, waren Methoden, vorherbestimmte Legungen 'hinzukriegen'. Während es natürlich beim 'echten' Spiel nicht gerade gesundheitsfördernd ist, wenn man vorbereitete Kartenverteilungen austeilt, kann dies ja beim Rollenspiel sehr nützlich sein. Leider wird auf diese Methoden – palmieren, 'falsch' abheben und so weiter – mit keinem Wort eingegangen.
Die Unterschiede
Schon äußerlich sehen die Beiden Sets völlig verschieden aus. Die Dose des Ulisses-Decks sieht aus wie ein Kartenspiel, das man heutzutage im Laden kaufen kann. Das Drakensang-Deck hingegen hat eine dunkelrotbraune Dose mit einem Drakensang- und einem DSA-Logo, einem Elementrarring und dem Wort 'Inrah' darauf. Einmal abgesehen von einem hellen Rechteck – auf dem in einer Ladenversion ggfs. Details zum Spiel zu finden wären – zeigt die Dose ansonsten nur eine Holzmaserung.
Öffnet man die beiden Schachteln, denkt man zunächst, die Karten seien auch unterschiedlich groß. Das liegt allerdings an der Farbgebung: während die Drakensang-Karten einen dunklen Rand haben, haben die Ulisses-Karten einen hellen Rand und wirken dadurch deutlich größer. In Wirklichkeit sind sie alle 8×12 cm groß.
Leider habe ich keine Meßgeräte, die es genau genug messen, aber ich hatte das Gefühl, dass die Ulisses-Karten ein wenig dicker (und damit widerstandsfähiger) sind als die Drakensang-Karten.
Die Ulisses-Karten wurden von Mia Steingräber und Caryad gezeichnet, wobei diese beiden sehr ähnlich wirkende Bilder abgeliefert haben. Wenn keine Signatur auf der Karte steht, ist es sehr schwer zu sagen, von wem sie ist… Die Karten sind vom Stil her eine interessante Mischung aus Jugendstil-Motiven (bzw. dem Rider-Waite-Tarot) und dem Ur-Klassiker 'Tarot de Marseilles‘: während 'modernere' Tarots (wie auch der Rider) meist auch gezeichnete Farbwerte haben, sind hier auf 'klassische' Manier die Zahlenkarten nur mit Elementsymbolen versehen.
Die Drakensang-Karten hingegen sind mit Illustrationen aus den Computer-Rollenspielen geschmückt. Die Zahlenkarten tragen auf einem Hintergrundsmotiv zum Element der Karte nur eine Zahl in modernem Font aber keine Elementsymbole, bei den Motivkarten (Arkana und Hofkarten) steht jeweils ausdrücklich der Name des Künstlers mit angegeben, sowie die Bedeutung. Das kann in besonderen Fällen zu Mehrfachen Nennungen führen: die Karte 'Ehre' zum Beispiel, deren arkane Bedeutung 'Rondra' ist, zeigt Ritter Traldar (aus dem ersten Drakensang), zusätzlich werden auch noch die zwei Künstler angegeben. Das, aber auch der moderne Font und die 'moderne' Bedruckung, führt dazu, dass man sich weniger aventurisiert fühlt als mit den Ulisses-Karten.
Für 'moderne' Augen sehen daher wohl die Drakensang-Karten 'normaler' aus. Einem Freund der klassischen Wahrsagekarten werden wohl die Ulisses-Karten besser gefallen. Auch sehen sie ein wenig aventurisch-glaubhafter aus. Einem Puristen dürften aber auch diese noch zu viele Tönungen und Schattierungen haben. Mit zur Zeit verwendeten Karten verglichen, erinnern die Drakensang-Karten am ehesten an die Karten eines CCG, während die Ulisses-Karten an französische Tarot-Karten erinnern, mit dem zusätzlichen Bonus, dass die Arkana (eben nicht Trümpfe) 'sprechende Motive' haben.
Im Endeffekt wird es aber wohl eine Geschmackssache sein, welche Version man schöner findet. Und wer sie haben will, wird die überhaupt finden müssen – was das ganze für den Normalkunden auf das Ulisses-Tarot beschränkt. Aber das ist, wie ich bereits schrieb, nicht unbedingt von Nachteil. Mit gefallen die Ulisses-Karten sogar ein wenig besser als die Drakensang-Karten, weil sie eben 'aventurischer‘ sind.