Einsamer Wolf Mehrspielerbuch
Lang, lang ist’s her – es waren die '80er Jahre. Knight Rider stritt für Recht und Verfassung, Bobby Ewing hatte plötzlich Kiemen und kam aus Atlantis… und aus England kamen die ersten Solorollenspiele. Da gab es die AbenteuerSpieleBücher (ASB – Fighting Fantasy) und die Einsamer Wolf Spielebücher (EW – Lone Wolf). Für die älteren Generationen unter den Rollenspielern waren sie oftmals der erste echte Kontakt mit Rollenspielen, so auch für mich.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen den ASB und EW war, dass die ASB jeweil ein einzelnes, selbständiges Abenteuer darstellten und man einen Helden nicht ins nächste Abenteuer mitnehmen konnte. Bei EW ging es ausdrücklich um eine fortlaufende Geschichte mit derselben Person war – was bei den ASB bestenfalls in einer vierteiligen Reihe (der Analand-Saga) der Fall war. Zwischen den Bänden konnte der Held (der 'Einsame Wolf‘) sich weiterentwickeln. Glücklicherweise hatte er dafür keine Lehrmeister nötig, denn er war der letzte der Kai-Meister, ein Kriegerorden, der durch die Mächte des Dunkelheit (den Schwarzen Lords als Diener Naars, des Gottes der Finsternis) nahezu vollständig ausgelöscht wurde.
Im Rahmen der Spielbuchserie konnte Einsamer Wolf das lange verschollene Buch der Magnakai wiederfinden und so den Orden der Kai-Meister wieder aufrichten. Das Mehrspielerbuch ist zeitlich eindeutig vor der Zeit der Spielbücher angesiedelt, denn in der Geschichtsübersicht wird erwähnt, dass das Buch der Magnakai verschollen ist. (Mehr zur Geschichte später).
Das Mehrspielerbuch sieht schon äußerlich nett aus. Wenn man das Frontcover sieht, denkt man unwillkürlich, man habe es bereits auf einem der Abenteuerbücher gesehen, aber das liegt wohl daran, dass alle Einsamer-Wolf-COver so ziemlich dieselbe Komposition haben: man sieht den Einsamen Wolf von hinten (Ausnahme: Band 5, hier sieht man ihn vorn vorne, aber das Gesicht ist unter der Kapuze verborgen), ihm Gegenüber ein Monster (in Band 7 das Schloss aus dem Titel). Der Band hat Taschenbuchformat, und passt im Regal genau zwischen die Spielebücher. Der Kartonumschlag wirkt stabil, und wird auch noch durch eine zweiseitige Landkarte vorne im Buch, die auf etwas dünnerem Karton gedruckt ist, unterstützt. Mit gut 160 Seiten Umfang passt es auch gut in die Jackentasche. Man schleppt sich also nicht, wie bei manchem 'großen' Rollenspiel, allein am Regelwerk einen Bruch.
Auch die rein technische Qualität des Inhalts lässt kaum Wünsche offen. Die Innenillustrationen sind zwar wie das ganze Interieur, schwarzweiss, aber das ist bei einem Taschenbuchformat absolut nicht störend. Der Satz ist sauber, grobe sprachliche Schnitzer habe ich auch keine feststellen können – heutzutage hat sich ja leider umgangssprachlich die Unsitte eingebürgert, ein 'nachdem' nicht mehr durch die vollzogene Zeitform (Perfekt / Plusquamperfekt / Futur II) begleiten zu lassen, sondern durch das Präteritum. Teppfuhler ;) habe ich auch keine bewusst bemerkt, was ein gutes Zeichen ist (auch wenn meine eigenen Blogpostings da vielleicht etwas anderes vermuten lassen). Nett, dass bestimmte wichtige Begriffe fett gedruckt werden, ohne dass es zu einer Fettinflation verkommt. Das einzige, was mir rein technisch an der Vollkommenheit fehlt, ist ein Index.
Das Buch folgt weitgehend den etablierten Strukturen eines Rollenspielbasisbuches für Einsteiger.
Im ersten Kapitel wird kurz erläutert, was ein Rollenspiel ist. Auch wenn dieses Kapitel sich an Rollenspielneulinge richtet sowie an die Leute, die bislang nur die EW-Spielebücher gespielt haben, sollte man sie als 'Kenner' nicht einfach überblättern – einer der wichtigsten Regelmechanismen wird nämlich nur in diesem Kapitel, quasi in einem Nebensatz, erläutert. Wenn man den nicht auf Anhieb gelesen hat und später sucht, wird man ihn wahrscheinlich hier nicht so leicht finden – der genannte Index wäre hier nützlich gewesen – oder eine Wiederholung des Mechanismus im entsprechenden Kapitel, denn er ist wirklich in wenigen Worten erklärt und die Wiederholung hätte nicht gestört.
Unter anderem wird hier auch erwähnt, was man für das Spiel benötigt: eigentlich nur Papier und Bleistifte. Statt Würfeln gibt es in den EW-Spielbüchern eine Tabelle mit Zufallszahlen die mit der Methode Blindes Huhn (Augen schließen und eine Ziffer antippen) gewählt werden sollen. Die Tabelle kann man auch getrennt beim Verlag downloaden. Allerdings ist die abgedruckte Tabelle, wenn ich richtig gezählt habe, nicht ganz genau ausgewogen: es gibt minimal weniger einsen und neunen und mehr dreien und sechsen als bei einer genauen Gleichverteilung vorhanden wären – andererseits sind die Zahlen am Tabellenrand wohl auch nicht ganz so wahrscheinlich wie die in der Mitte. Man kann aber natürlich auch zehnseitige Würfel nehmen – wobei die '0' hier tatsächlich eine Null und nicht eine Zehn darstellt.
Im zweiten Kapitel werden die Spielercharaktere erstellt. Das geht genauso schnell und schmerzlos wie in der SW-Spielebüchern. Ein W10 plus 10 für die Kampfstärke, 1W10+20 für die Ausdauer – die hier die Bedeutung von Lebenspunkten hat. Hinzu kommen dann noch für jeden Charakter fünf Kai-Disziplinen aus der Basisliste von zehn, die schon aus den Spielbüchern bekannt sind, aber für die Verwendung in einer Gruppe leicht modifiziert wurden. Ausrüstung und Waffen funktionieren dann wie im Spielebuch: in der Regel als Bonus auf Kampfstärke oder Ausdauer. Bei mehr als zwei Spielern werden also auf jeden Fall manche Kai-Disziplinen doppelt vorkommen, was aber ausdrücklich als positiv gewertet wird. Und wer kennt das nicht, dass der einzige Heiler der Gruppe (dem man wegen seiner Expertise dann auch noch alle Heiltränke aufgeladen hat) aus irgendeinem Grund (Entführung, Exitus…) ausfällt, und dann so, dass 'seine' Heiltränke gleich mit unerreichbar sind? Mit den fünf Disziplinen wird dann auch deutlich gemacht, dass man als 'Stufe 5' anfängt, was in manchen Bereichen für den möglichen Bonus wichtig ist.
Das einzige, was mich als Rollenspieler in dem Kapitel ein wenig stört ist die Tabelle, mit der 'typische Kai-Namen' ausgewürfelt werden sollen. Zum Teil wirken die erwürfelten Namen indianisch, zum Teil primitiv-keltisch, zum Teil asiatisch, zum Teil auch ganz einfach nur seltsam (Weiser Helm). Für Anfänger mag die Tabelle nützlich sein, Fortgeschrittene werden hierüber eher die Augen rollen.
Kapitel 3 dreht sich dann um den Kampf. Der ist genau wie im Spielbuch sehr einfach geregelt: man bildet die Differenz zwischen der Kampfstärke des SC (einschließlich ggfs. vorhandener Boni) und des Gegners, das Ergebnis heisst, weil es sich um eine Differenz handelt, dann Kampfquotient… Zu jedem Quotienten gibt es in der Kampftabelle eine Spalte, auf der mit einem W10 der Effekt der Kampfrunde bestimmt wird – das geht vom Tod einer beteiligten Seite über Ausdauerverlust bis zu 'nichts passiert'. Hier gibt es auch Regeln für Käpfe mehrere gegen einen, Massenkämpfe, Fernkampf etc. Leider wird die Möglichkeit waffenlos zu kämpfen hier ignoriert, wie auch die Verwendung von Notfallwaffen (Stuhlbeine, Flaschen).
Nett und nützlich ist hierbei die Regel, dass man nur aus einem Umstand einen Bonus ziehen kann – wenn man eine Waffe und einen Ring hat, die einem einen Kampfbonus geben, gilt nur der bessere. So wird ein Munchkin-Effekt vermieden.
Im 4. Kapitel geht es dann um den Aufstieg. Kurz und schmerzlos: für jedes erfolgreich bestandene Abenteuer gibt es eine 'Stufe' hinzu, wodurch man eine Kai-Disziplin hinzu erhält. Hierdurch gleichen die Charaktere sich in ihren Fähigkeiten wieder aneinander an, was erst nach Erreichen des Ranges eines Kai-Meisters (10. Stufe, Charakter kennt alle Kai-Disziplinen) wieder aufgefächert werden soll – und erst in einem Erweiterungsband. Für den erfahrenen Rollenspieler ist der 'Erfolgreiches Abenteuer -> Stufenaufstieg‘-Mechanismus natürlich arg grob gerechnet, für den Anfänger aber hinreichend.
Kapitel 5 geht um das Abenteuerleben außerhalb von Kämpfen. Hierbei fallen mehrere Sachen auf:
Bei den Regeln für Klettern, Licht, Gegenstände zertrümmern etc. vermisst man unwillkürlich die einleitende Erläuterung, wie eine Probe funktioniert – die steht, wie gesagt, im ersten Kapitel. Eine Übersicht über die möglichen Boni zu verschiedenen Aktionen findet man hier. Wer – wie ich – die Einleitung erst einmal nur diagonal gelesen hat, und dabei die Regel zur Probe nicht gesehen hat, sucht sich hier erst einmal einen (einsamen) Wolf. Und dann sucht man noch den Index – und irgendwann findet man die Regel dann doch. Übersichtlicher wäre es, die zwei, drei Sätze zur Probe hier noch einmal abzudrucken, rein der Vollständigkeit halber.
Die Ausrüstungslisten sind angenehm kurz – was auch günstig ist, denn auf den ersten Blick wirken sie ungeordnet. Nachdem ich ein paar mal scharf hingesehen hatte und begonnen hatte, die Begriffe zurückzuübersetzen, ging es mir auf: die Reihenfolge ist alfabetisch – in den Englischen Begriffen. Auch ist ein Heil… äh, Laumspurtrank doch arg teuer. Ich sehe schon die Anfänger weinen 'Meine Geldbörse kann maximal 50 Goldkronen aufnehmen, ich kann laut Regeln nicht mehr Geld bei mir haben. Ein Laumspur-Trank kostet 150 Kronen – wie soll ich die jemals bezahlen, wenn ich das Geld nicht herumtragen kann?' Ich bin mir nicht sicher, ob damit Kooperation gefördert werden soll (drei Leute müssen zusammenarbeiten um sich einen Laumspur-Tran kaufen zu können), oder was man sich genau dabei gedacht hat.
Das 6. Kapitel wird beschrieben als 'Taktik und Strategie'. Hier werden die Disziplinen und die Boni, die man für diese erhalten kann, erklärt, sowie andere Zusammenhänge zwischen den Regelmechanismen. Mir persönlich wäre es fast lieber gewesen, wenn diese Sachen früher (im Kampf- oder im allgemeinen Abenteuerkapitel) mit aufgenommen worden wären. So blättert man auch hier wieder einige Male vor und zurück, um die Zusammenhänge zu erkennen.
Im 7., dem Spielleiterkapitel, wird gut erklärt, was ein Spielleiter so tut, und eingedenk der Tatsache, dass das Buch für Anfänger gedacht ist, hat es mir richtig gut gefallen. Sogar erfahrene Spielleiter können sich das Kapitel gut durchlesen und vielleicht noch die eine oder andere Idee herausziehen.
Die Monsterbeschreibungen in Kapitel 8 sind meist eher kurz und knackig, aber meist ganz brauchbar. Mit wenigen Worten werden auch die Wesen beschrieben, die man nicht aus 'eigener Anschauung' kennt – wie ein Straßenräuber aussieht, wird sich jeder vorstellen können, Kryptenbrut oder Schwarzschwingen benötigen doch ein paar Worte. In einem Fall ist die Beschreibung aber schon arg kurz ausgefallen: wer nicht aus den Büchern weiss, dass Giak und damit auch Szall grundsätzlich humanoid sind, wird hier vergeblich nach einer Beschreibung suchen.
Das 9. Kapitel kam mir am verwirrendsten vor. Es wird hier eine Kurzübersicht über die Geschichte Magnamunds gegeben, von der Erschaffung der Welt bis zum 'aktuellen' Angriff der Schwarzen Lords auf die Länder der Lichts. Hier hatte ich einige Male das Gefühl, dass weniger mehr gewesen wäre. Als erfahrener Spieler bin ich vielleicht an all dem interessiert, aber einen Anfänger dürfte eine derartige Geschichtsstunde doch eher überfordern. Der Teil, der die Charaktere direkt betrifft, wirkt auch weit weniger verworren als der erste, und deutlich übersichtlicher. Hier gewinnt man dann ein wenig das Gefühl, wie Magnamund sich anfühlt, und kommt auch fast von selbst auf Ideen für eigene Abenteuer.
Gerade das 9. Kapitel zeigt deutlich, dass Joe Dever, der Autor von Einsamer Wolf, aus der Rollenspielwelt stammt. (N.B.: die Arbeit an der Welt Magnamund war bereits einige Jahre für seine eigene Gruppe im Gange, als er die Einsamer-Wolf-Bücher erschuf.) Der Versuch, eine Geschichte, die ohne weiteres den Umfang eines Silmarillion annehmen könnte ohne erschöpfend erzählt zu sein, in diese wenigen Absätze zu pressen, ist leider nicht sonderlich erfolgreich.
Auch das 10. Kapitel, das die Spielwelt selbst beschreibt, leidet teilweise an zu großer Detaildichte. Dennoch liest es sich schon wieder deutlich flüssiger als das 9. Kapitel, und man kann es gut gebrauchen, auch um seine eigenen Abenteuer zu platzieren.
„Der Auftrag des Händlers“ ist das 11. Kapitel, das in einem Anfänger-Regelwerk unverzichtbare Abenteuer. Mit 55 Seiten nimmt es auch ein Drittel des Buches in Beschlag. Es beginnt damit, dass ein reisender Händler überfallen wird und die Charaktere als Kai-Mönche ihm helfen. Ein Schritt führt zum nächsten, und am Ende steht die Entdeckung einer großen Verschwörung und Gefahr.
Das Abenteuer ist ziemlich linear gehalten, bietet aber im Laufe der Zeit stets mehr Möglichkeiten für die Spieler, eigene Ideen umzusetzen, die der Ploteisenbahn eventuell widersprechen. Es gibt auch eine Reihe von Möglichkeiten, das Abenteuer vorzeitig (durch Verweigerung) zu beenden, und es wird dann jeweils erzählt, wie sich diese Entscheidung auswirkt. Alles in allem ein schönes Abenteuer für Einsteiger, für erfahrene Spieler ist es sicherlich ein wenig unterfordernd. Hier werden dann bei den Verschiedenen Enden auch die Vorlesetexte wiederholt – das ist dann teilweise bis zu einer Seite, die man mehrfach im Buch findet, weil sie sich auf verschiedene Handlungsoptionen beziehen. (Ich kann nur wiederholen: die zwei, drei Sätze, wie eine Probe abgehandelt wird, hätte man da doch auch einmal wiederholen können?)
Zuguterletzt die Anhänge: Charakterbogen, Kampfprotokoll, Kampfresultattabelle, Zufallszahlentabelle, Ausblick auf die kommenden Bände – mit denen es dann auch möglich wird, nicht-Kai zu spielen.
Alles in allem ein sehr solides Einsteigerwerk, das man sich ansehen sollte, wenn man – zum Beispiel in einem Jugendzentrum oder als AG einer Schule – Neulinge ins Rollenspiel einführen möchte, oder wenn man nostalgisch die Abenteuer des Einsamen Wolfes in einer Gruppe spielen will.
Hersteller |
Mantikore-Verlag |
Autor |
Matthew Sprange & Joe Dever |
Spieler |
RPG |
Denken |
RPG |
Glück |
RPG |
Geschicklichkeit |
RPG |
Preis |
14,95 € |