Hellfrost
Kalt erwischt ist nicht nur der Titel eines Abenteuers für Cthulhu Now!, das ich häufig auf Cons geleitet habe, "kalt erwischt“ könnte auch das Motto sein, unter das das Kampagnensetting für Savage Worlds, Hellfrost, gestellt wurde. Dieses Settingb stammt nicht von Pinnacle, dem Herausgeber von Savage Worlds, selbst sondern von dem Englischen Herausgeber Triple Ace Games. Der hat allerdings sehr gute Beziehungen zu Pinnacle.
Das Hellfrost Spielerhandbuch hat nicht das von anderen Savage Worlds bekannte 'Kleinformat‘, sondern das bei Rollenspielmaterial üblichere DIN-A4-Format. Hiermit soll schon von außen deutlich werden, dass es (anders als beispielsweise Sundered Skies) keine komplette Kampagne darstellt, sondern eben nur ein Spielerhandbuch. Grundsätzlich eine nette Idee, ich sehe nur ein Problem: wer ein großer Rollenspielsammler ist, wird dann entweder die Savage-Worlds-Bücher über mehrere Regale aufteilen müssen, oder große 'Luftlöcher' in seinen Regalen über den Komplettbänden in Kauf nehmen müssen.
Das Buch fühlt sich ganz gut an, und ist mit ca. 150 Seiten auch nicht zu dick. Das Papier ist angenehm stabil, aber nicht zu dick, der Einband fühlt sich nicht so schrecklich glatt an wie er aussieht, sondern liegt gut in der Hand. Allerdings wäre ein Lesebändchen nützlich gewesen. Schön: das Buch ist komplett farbig gedruckt – noch immer keine Selbstverständlichkeit für Rollenspielmaterial.
Worum geht es bei Hellfrost? Zunächst einmal ist es ein Setting, kein komplettes System. Das heisst: wer nicht Savage Worlds besitzt, wird mit den Spielmechanismen wenig anfangen können. Wer aber die Gentleman’s Edition besitzt, wird hier alles weitere finden, um im Hellfrost-Setting zu spielen.
Das Setting ist teilweise nachgerade klassisch, und gleichzeitig durch dieselben Punkte ungewöhnlich. Die Welt fühlt sich an wie aus der Edda oder einer anderen Nordischen Sage entsprungen. Das betrifft nicht nur die Namen und weltspezifischen Begriffe, sondern auch den Hintergrund.
Man nehme als Basis eine nur leicht nordisch/wikingerisch angehauchte Standard-Fantasywelt. Der verpasse man fünfhundert Jahre in der Vergangenheit eine große Katastrophe: den 'Schneesturmkrieg‘, in dem Frostriesen, Eisteufel, Weltfrostdrachen und ähnliches Kaltkroppzeug die Welt von Norden her kommend angegriffen haben. Am Ende des Krieges hat sich der Weltfrost im Norden festgesetzt, und breitet sich jetzt langsam weiter südwärts aus, immer weiter in die 'zivilisierten Lande' hinein. Die Winter werden stetig kälter und kälter, die Sommer kühler und kürzer. Keine nette Welt zum Leben.
Hinzu kommt dann noch, dass in den letzten Jahren das Zaubern selber gefährlicher geworden ist. Die Magie hat Aussetzer, Ladehemmungen und Fehlzündungen. Außerdem kann es passieren, dass ein Zauberer seiner magischen Macht gänzlich (und endgültig!) verlustig geht.
Das ist die Welt von Rassilon. Der Name klingt bekannt? Ich habe jedenfalls zwinkern müssen, als ich den Namen das erste Mal las: Rassilon ist im Whoniverse (der Welt von Doctor Who) ein legendärer Wissenschaftler, der mit schwarzen Löchern, TARDISen und anderen supermächtigen Gegenständen arbeitete – und ja, er war ein Time Lord. Die Namensgleichheit würde ich bei einem rein deutschen Rollenspiel evtl. noch als Zufall abtun und nicht darüber schreiben – aber Paul "Wiggy“ Wade-Williams ist Engländer, und seine Rollenspielerinnerungen gehen laut diesem Interview noch in die Zeit zurück, als der siebte Doctor auf dem Bildschirm u.a. im 'Größten Zirkus aller Zeiten' zu sehen war. Es ist daher unwahrscheinlich, dass er den Namen nicht kannte.
Das Handbuch enthält alles, was man als Spieler benötigt. Es beginnt mit einem kurzen Kapitel (3 Seiten) über die Welt und ihre Geschichte. Anschließend kommt die Charaktererschaffung.
Es gibt sechs Rassen auf Rassilon. In der Reihenfolge des Spielerhandbuches beginnt es mit den Engro, die an Halblinge erinnern, sowohl äußerlich als in ihrer Persönlichkeit. Ein "Frostblut“ (die zweite Rasse) ist von Geburt an an die neue, kalte Welt angepasst. Insofern ähneln sie den Glühblütern von Sundered Skies. Frostzwerge sind die Zwerge dieser Welt. Herdelfen sind mehr oder weniger Standard-Elfen, Menschen gibt es in mehreren Ausprägungen, die aber alle ohne weiteres in Nordmannssagen vorkommen könnten. Zuguterletzt gibt es noch die nomadischeren Taigaelfen, die langsam die Herdelfen verdrängen, weil sie besser (wenn auch immer noch nicht gut) an die Kälte angepasst sind.
Ins Erschaffungskapitel gehören auch die neuen Talente und Handicaps, sowie eine Übersicht, welche Fertigkeiten, Talente und Handicaps aus den Standardregeln gelten. Auffällig war hier, dass es eine ganze Reihe von Talenten (bei DSA würde man von Sonderfertigkeiten, bei D&D von Feats / Powers sprechen) gibt, die speziell auf Massenschlachten ausgerichtet sind. Hiermit scheint mir das Hellfrost-Setting von den modernen Rollenspiel-Settings eines der am stärksten auf Massenkämpfe ausgerichtete Settings/Systeme zu sein.
Das nächste Kapitel, das keine großen Überraschungen bereithält, betrifft die Ausrüstung. Es gibt allerdings ein paar nette Ausrüstungsteile, wie zum Beispiel Kaltfeuer (das zwar Metall schmilzt, aber der Umgebung Wärme entzieht), Schwarzes Eis (das als Waffe und Rüstung verwendet werden kann und mit Kaltfeuer bearbeitet werden muss, aber bei höheren Temperaturen schmilzt) und ähnliche Sachen, die für das Setting typisch sind.
Unglücklich gewählt fand ich den Namen 'Heckenmagie' für das folgende Kapitel. Es geht hierbei um Kräuter und Tinkturen, die man kaufen oder selber herstellen kann, auch ohne einen magischen oder arkanen Hintergrund. Auch sind die Tränke nicht als magisch zu entdecken, und auch Antimagie trifft sie nicht. Mit anderen Worten: es ist eher 'profane Alchimie und Arzneikunde'.
Das folgende Kapitel behandelt die Magie – Regeländerungen und magische Gegenstände. Hier gibt es anstelle der Punkte des 'normalen' Savage-Worlds-Systems den Effekt des 'Sogs‘, der die Magier bedroht. Wer mit seinem Zauberwurf eine 1 würfelt, erleidet die Auswirkungen, die (in besnders glücklichen Fällen) von einer kurzfristigen Erhöhung der magischen Kraft über (meist) zeitweise Verringerung selbiger bis hin zu permanenten Schäden führen kann. Wem die magische Fertigkeit hierbei auf 0 gedrückt wird, verliert sogar alle Zauberfähigkeit – permanent! Das ganze erinnert an die Rückschläge von Deadlands. Magische Gegenstände können nur als 'x Anwendungen' hergestellt werden (und nicht wieder aufgeladen), die seltenen 'permanenten' magischen Gegenstände sind alle Überbleibsel einer lange vergangenen Zeit, die Kenntnis der Herstellung ist verschollen.
Religion ist das folgende große Kapitel. Die Götterwelt ist voll mit 'zig Göttern, hat aber einen eindeutig nordischen Einschlag. Man findet manche Asen auch nahezu unverändert wieder. Die Götterliste ist mit 20 Seiten allerdings ziemlich lang, und viele Götter haben daher nur sehr beschränkte Portfolios.
Im folgenden Kapitel werden dann die Zaubersprüche beschrieben, die man zwei Kapitel vorher bereits erwartet hätte. Es wäre vielleicht ein wenig übersichtlicher gewesen, wenn man das Kapitel mit den zauberstprüchen und das über die Götter ausgetauscht hätte.
Im folgenden Kapitel mit dem Namen 'Ehre' geht es nicht nur um selbige – auch wenn sie einen wichtigen Bestandteil des Lebens auf Rassilon ausmacht – sondern auch um das normale Leben und Reisen. Auf wenigen Seiten wird hier dennoch alles für Abenteurer Wichtige und Wissenswerte zusammengefasst.
Anschließend werden auf 8 Seiten die wichtigsten Organisationen vorgestellt: Diebesgilden, Rabenritter, Reliquiare (Sammler magischer Gegenstände aus alter Zeit), Wegeshüter (die das Reisen sicherer machen sollen) und so weiter.
Abgeschlossen wird das mit einigen allgemeinen Regeln zum Setting: Temperaturen (Kälte ist hier wichtiger als in den meisten anderen Savage-Worlds-Settings, Göttliche Hilfe kann wichtig sein, Wergeld wird angesprochen etc.
Hiernach findet man noch leere Charakterbögen zum Kopieren (was in einem Hardcover naturgemäß problematisch ist), sowie einen Index. Wenn man allerdings in diesem etwas sucht, kann es gut sein, dass man … nichts findet: er ist sehr kurz, und manche Begriffe werden hier geflissentlich ignoriert.
Das Lektorat war weitgehend OK, aber an manchen Stellen doch auffällig. An einzelnen Stellen fiel mir ein den Lesefluss störendes Deppenleerzeichen auf, und ein-, zweimal stolperte ich über Sätze, bei denen ein Wort so fehlte, dass man es nicht unbewusst ergänzte. Alles in allem ist es aber ganz gut zu lesen.
Die Welt hat natürlich eine Mege Geheimnisse. Wo kommt der Weltfrost her, kann man ihn stoppen? Wer ist für den Sog verantwortlich? Und so weiter. Wer jetzt denkt, das könne der Spielleiter dann im Spielleiterhandbuch nachlesen, wird enttäuscht: bis heute gibt es auch von Triple Ace nur einige Abenteuer, Regionenbände und einen Kreaturenband, aber keinen Spielleiterband, der derartige zentrale Fragen näher beleuchtet. Mit dem bereits vorhandenen Material lässt sich aber ohne weiteres eine Kampagne am Rande des Eises führen.
Für Liebhaber der Wikingersagen, der Nordischen und Lappischen Sagenwelt (und vielleicht auch der einen oder anderen Erzählung der Inuit) ist dieser Band auf jeden Fall ein Anrater, aber auch für Leute, die sich mit dem Thema auseinandersetzen wollen, oder die einfach 'mal eine 'etwas andere' Fantasy-Welt suchen, die gleichzeitigt einen gewissen prä- bzw. post-apokalyptischen Hauch bietet.
Hersteller | Prometheus Games |
Autor | Paul "Wiggy“ Wade-Williams |
Spieler | RPG |
Denken | RPG |
Glück | RPG |
Geschicklichkeit | RPG |
Preis | € 34,95 (Buchpreisbindung) |